Der Umbau braucht Geld

Kommentar

Als in den vergangenen Wochen ein großer Lebensmitteldiscounter Nackenkoteletts für 1,99 Euro/kg anbot, ging ein Aufschrei durch die Medien dieser Republik. Billigangebote sind ja leider nichts Neues. Ungewohnt ist aber, dass solche Dumpingpreise von Rundfunk und Presse mehrere Tage lang scharf kritisiert werden. Ich bin froh, dass es diese Sensibilität bei Teilen der Medien und Verbraucher gibt. Eine bäuerliche, artgerechte und umweltverträgliche Tierhaltung ist weder zum Minus- noch zum Nulltarif zu haben. Als AbL setzen wir uns seit Jahrzenten für eine bäuerliche, artgerechte Tierhaltung ein und haben vor 30 Jahren das NEULAND-Programm mit aus der Taufe gehoben, um zu zeigen, wie landwirtschaftliche Tierhaltung auch funktionieren kann. Alle neueren Programme mit einem gewissen Anspruch an eine tiergerechte Schweine-, Geflügel- und Mastrinderhaltung greifen auf diese Erfahrungen in der Praxis zurück. Ein echtes Pfund. Aber der Marktanteil liegt insgesamt nur bei ein bis zwei Prozent. Das liegt vor allem daran, dass wir die Mehrkosten der Erzeugung, Verarbeitung und eigenständigen Vermarktung voll und ganz aus dem Markt holen müssen. Jetzt stehen Veränderungen für nahezu die gesamte Tierhaltung an. Das kostet. Der Wissenschaftliche Beirat nennt Mehrkosten allein beim Schwein in Deutschland von 1,8 bis 2,3 Mrd. Euro pro Jahr. Es wäre Illusion zu glauben, dass das allein aus dem Markt kommen wird. Und genauso illusorisch ist die Vorstellung, dass der Umbau der Tierhaltung allein aus der Umschichtung von Direktzahlungen finanziert werden könnte. Die Direktzahlungen müssen anders eingesetzt werden, ja, und zwar dringend, um bäuerliche Betriebe zu stärken. Doch die Mammutaufgabe Umbau der Tierhaltung braucht auch zusätzliches Geld, damit die noch bestehenden Betriebe mitgehen können. Der Rückgang der Betriebe ist schon jetzt brutal hoch. Der Umbau der Tierhaltung ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Schließlich sind die Ställe und Haltungsverfahren, die wir nun umgestalten müssen, auch politisch gewollt gewesen, staatlich genehmigt und zum Teil sogar gefördert worden. Jetzt, wo allen klar sein müsste, dass das in eine Sackgasse geführt hat, müssen auch alle ihre Verantwortung für den neuen Weg übernehmen. Neben einem geänderten Genehmigungs- und Förderrecht muss die neue Bundesregierung für den Umbau eine neue Finanzierungsquelle schaffen, aus der den Betrieben ein Teil der anfallenden Mehrkosten bezahlt wird. Ob eine Schlachthaken-Abgabe, wie vom neuen Präsidenten des Raiffeisenverbandes Holzenkamp angedacht, der richtige Weg ist, muss diskutiert werden. Vielleicht ist ein steuerfinanziertes Sonderprogramm eine bessere Alternative. Entscheidend ist, dass die Bauern, die sich auf konsequenten Tierschutz einlassen, nicht im Regen stehen gelassen werden. Die sogenannte Brancheninitiative kann das nicht leisten. Sie ist mit viel zu wenig Geld ausgestattet, als dass man als Landwirt damit große Veränderungen im Stall leisten könnte. Umgerechnet steht für jedes Schwein von der Geburt bis zur Schlachtung nur gut ein Euro zur Verfügung. Um den Schweinen aber ein artgerechtes Leben mit mehr Platz und Ringelschwänzen zu ermöglichen, wären hier 40 bis 50 Euro pro Tier nötig. Zusätzlich braucht es eine klare Kennzeichnung, damit die vorhandene Zahlungsbereitschaft von Verbraucherinnen und Verbrauchern endlich voll zum Tragen kommen kann und auch der Markt seinen Teil zur Finanzierung leistet. Fünf Jahre darauf zu warten, wie aus Kreisen der Brancheninitiative gefordert wird, ist ein Unding. Die Kennzeichnung muss jetzt kommen, und sei es mit einem zweistufigen staatlichen Label in Deutschland. Die Kriterien für die Anfangsstufe müssen ein echtes Angebot an die Gesellschaft sein und gleichzeitig vielen Betrieben den Einstieg ermöglichen. Premium muss sich an NEULAND orientieren. Der Noch-Bundesminister hatte mehrmals angekündigt, eine Nutztierstrategie vorzulegen. Zuletzt sollte sie im Mai kommen, aber sie kam wieder nicht. Die neue Bundesregierung muss auch hier liefern. Die Betriebe brauchen dringend Klarheit darüber, wohin sie sich aufmachen und zu welchen Bedingungen. Die verschiedenen Maßnahmen müssen aufeinander abgestimmt sein und sich gegenseitig verstärken. Die Zeit wortreicher Ankündigungen und tatsächlichen Stillstands muss vorbei sein, damit der Umbau gelingt und den bäuerlichen Tierhaltern eine wirtschaftliche Perspektive bietet.
25.08.2017
Von: Martin Schulz, Bundesvorsitzender der AbL

Martin Schulz, Bundesvorsitzender der AbL