Die billige Lösung

Bei der Auseinandersetzung um Glyphosat geht es um viel Geld

Glyphosat bietet eine Menge Diskussionsmöglichkeiten. Zum Beispiel über Entscheidungsprozesse rund um die Zulassung von Pestiziden in Europa. Einmal mehr, nachdem nun auch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) wie zuvor das von ihr mit einem Bericht dazu beauftragte deutsche Bundesinstitut für Risikoforschung (BfR) keine gewichtigen Gründe sieht, die gegen die anstehende Neuzulassung des weltweit am meisten eingesetzten Pestizid-Wirkstoffes durch die EU-Kommission sprechen. Bei den Bewertungen, die beide Institutionen geschrieben haben, geht es um Interpretationen von Ergebnissen wissenschaftlicher Studien. Die internationale Krebsforschungsagentur der Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat zum Teil dieselben Studien interpretiert. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass Glyphosat wahrscheinlich krebserregend ist. Es gibt den Vorwurf an das BfR, es habe zunächst Tumore in Studien ignoriert, später dann doch deren Vorhandensein zugeben müssen. Das BfR argumentiert, im Gegensatz zum WHO-Institut würde es bei seiner Bewertung erstens realistische Verwendungsmengen annehmen und zweitens nur den Wirkstoff, kein Endprodukt, also verkaufte Pestizide bewerten, deshalb das abweichende Ergebnis. Ein weiterer Vorwurf lautet, das BfR verlasse sich zu sehr auf industrieinitiierte Studien, die Glyphosat harmloser darstellen als die Studien unabhängiger Forscher. Im Unterschied zum BfR sah sich die EFSA in der Vergangenheit schon häufiger dem Vorwurf ausgesetzt, zu industriefreundlich zu sein. Monsanto als Glyphosat-Patentinhaber ist potent, ein Wirtschaftsfaktor und scheut nicht teure gerichtliche Auseinandersetzungen. Es geht um 5.000 Tonnen des Wirkstoffes pro Jahr allein auf deutschen Äckern. Eine über ideologische Zweifel erhabene Institution ist das staatliche Gewerbeaufsichtsamt in Hildesheim. Die dort arbeitende Toxikologin Margit Salzmann hat die Vorgehensweise der WHO-Krebsforscher wissenschaftlich bewertet und machte in einer Veranstaltung des niedersächsischen Umweltministeriums zu Glyphosat die Aussage, dass die Ergebnisse sehr wohl solide und praxisrelevant erhoben und bewertet worden seien. Zu erwarten ist allerdings, dass die EU-Kommission sich über alle Zweifel hinwegsetzt und Glyphosat erneut zulässt. Hilfe beim Strukturwandel Eine andere Möglichkeit sich Glyphosat zu nähern, ist über den Acker. Untersuchungen der Universität Göttingen dokumentieren einen nach wie vor hohen Einsatz, wenngleich Horst-Henning Steinmann als führender Wissenschaftler einer Arbeitsgruppe zu Glyphosat eine Stabilisierung auf einem hohen Plateau in der allerjüngsten Vergangenheit ermittelte. Bei den durchgeführten groß angelegten Befragungen vor vier Jahren, aber auch erneut ganz aktuell, überraschte ihn, wie klein doch am Ende die Rolle ist, die die besonders in die gesellschaftliche Kritik geratene Vorerntesikkation spielt. Zwar gilt hier seit einem Jahr die Zulassungsverschärfung, dass das Abtöten stehender Kulturpflanzenbestände zur Ernteerleichterung nur noch in Ausnahmefällen wie Lager oder Durchwuchsproblemen erlaubt ist, doch auch vorher konnte die Sikkation als Routinemaßnahme bei uns nie so Fuß fassen wie beispielsweise in Großbritannien. „Wir hatten Sorge, dass das häufiger vorkommt, es betrifft aber offenbar nur 2 bis 3 % der Fläche“, so Steinmann. Ein größeres Unbehagen damit, direkt vor der Ernte Glyphosat auf Speiseware zu spritzen, hat auch der landwirtschaftliche Berater Matthias Ernst in seinem Umfeld wahrgenommen. Trotzdem es ja noch nicht lange her sei, dass landwirtschaftliche Fachzeitungen den Bauern vorgerechnet hätten, wie hoch die Ersparnis an Druschkosten sei, wenn sie Glyphosat vor der Ernte spritzten. Auch in einem weiteren Punkt blicken Berater und Wissenschaftler in die gleiche Richtung: Horst Henning Steinmann sagt, er sei ebenfalls überrascht, wie groß – auch in seiner aktuellen Erhebung – die große Bedeutung von Glyphosat als Nacherntemaßnahme sei. Eigentlich ist das nicht der Einsatzzeitpunkt, der sich aus der ursprünglichen Idee eines pfluglosen und damit bodenschonenden Ackerbausystems herleitet, mit dem sich Glyphosat ursprünglich die „moralische“ Legitimation erworben hatte – „reinen Tisch machen“ vor der Saat. Die von Steinmann erhobene häufige Anwendung von Glyphosat in Stoppeln sei, so seine Einschätzung, eine reine arbeitswirtschaftliche Maßnahme, damit ließe sich noch ein bisschen was rausholen in Sachen Rationalisierung. „Glyphosat hilft beim Strukturwandel“, sagt er. Billiglösungsmittel Dafür spricht auch, dass eine Kollegin von ihm an der Uni Rostock, die jeweils Landkreise in Ost- und Westdeutschland auf ihren Glyphosateinsatz hin untersucht hat, feststellen konnte, dass in den größeren Strukturen des Ostens mehr gespritzt wird als geackert. Hinzu kommen enge, auch immer mehr auf eine Gewinnmaximierung ausgelegte Fruchtfolgen, viel Raps und Getreide, weniger Zwischenfrüchte und anderes. Auch Berater Matthias Ernst kritisiert, dass gerade nach der Ernte die Praxis in der Vergangenheit zu häufig auf die vermeintlich einfache und billige Lösung Glyphosat gesetzt hat, statt auf „guten Ackerbau.“ Das habe auch ökonomische Folgen. Besonders – aber nicht nur – in trockenen Jahren oder auch nach Starkregenereignissen bei einer Verschlämmung des Bodens breche eine flache Bearbeitung der Stoppel mit dem Grubber die Struktur, verbessere die Wasserversorgung, bringe Unkrautsamen und Ausfallgetreide zum Keimen – all das könne Glyphosat nicht, so Ernst. Und in den ertragsoptimierten engen Fruchtfolgen stimme auch das Argument vom Entzug der Futtergrundlage für Mäuse und Schnecken durch Totspritzen nicht, auch hier wirke nur der Grubberstrich nachhaltig. „Wenn man ehrlich ist, ist Glyphosat zu billig“, sagt Ernst und unterstreicht, dass man aber auch richtig rechnen müsse. Viele Bauern säßen der Werbung auf, für vier Euro pro Hektar den Acker sauber zu bekommen; rechne man die Überfahrt, sei man schon bei 18 Euro, mit dem Grubber koste es 30 Euro. Wenn das Mittel 15 Euro kosten würde, würden viele schon ganz anders damit umgehen, ist Ernst überzeugt. Es bekäme wieder den Charakter des Notfallinstruments. Es gibt Situationen, da will er nicht auf Glyphosat verzichten müssen: in der wachsenden Problematik mit Resistenzen beim Ackerfuchsschwanz, bei der Queckenbekämpfung, bei Direktsaatverfahren. Bei vielen anderen Gelegenheiten rät er den Bauern und Bäuerinnen, die Finger davon zu lassen. Steinmann sieht dazu noch, dass es bislang – die Betonung auf bislang – keine Resistenzprobleme gibt, anders als in noch glyphosatintensiveren Ackerbausystemen jenseits des Atlantiks im Zusammenhang mit Gentechnikpflanzen. Früher oder später werde man sich auch mit Funden im Grundwasser auseinander setzen müssen, auch die Frage der Beeinträchtigung der Biodiversität spiele inzwischen eine Rolle im EU-Zulassungsverfahren für Pestizide, macht Steinmann das Fass noch größer. Viel Biodiversität lässt Glyphosat bestimmungsgemäß nicht auf dem Acker übrig und es findet sich inzwischen überall wieder. Alles Gründe, mindestens kritischer im Umgang mit dem Mittel zu werden. „Die Phase, als Monsanto mit dem Spruch warb: 'Pflügen war gestern, Glyphosat ist heute' ist vorbei“, sagt Matthias Ernst, „wenn wir nicht aufpassen, fliegt uns das alles um die Ohren.“ Dabei bleibt es jedem selbst überlassen zu entscheiden, was uns um die Ohren fliegt: die öffentliche Stimmung, die trotz des EFSA-Persilscheins noch für ein Verbot sorgt, oder die doch nicht so harmlosen Auswirkungen eines über viele Jahre allzu leichtgiebig eingesetzten Billiglösungsmittels.
27.11.2015
Von: cs