Das Atom-Moratorium muss ein Ausstieg sein

Kernkraft ist nicht zu beherrschen. Die Atomreaktoren sind nicht sicher, wie das traurige Beispiel in Japan zeigt

Die Atomkatastrophe in Japan heizt die Debatte um den Atomausstieg in Deutschland erneut an. Eine Technologie, die Unfehlbarkeit verlangt, wie die Atomkraft, übersteigt das menschliche Maß. Hochrisikotechnologien bergen latent die Möglichkeit, dass die geballte Produktivkraft in ihr Gegenteil umschlägt, die Destruktivität beschädigt Mensch und Natur. Die Menschen im Umfeld Fukushimas zittern, fragen sich, woher, wohin der Wind weht. Die Strahlenwolke zieht über das Land, verseucht Obst und Gemüse, das Trinkwasser und birgt die Gefahr des schleichenden Todes. Ein Restrisiko, das Mensch und Natur buchstäblich den Rest gibt, ist nicht erst seit dem Inferno in Japan neu. Seit 34 Jahren engagieren wir uns im Wendland gegen Gorleben und für den Atomausstieg, schon dreimal wurde in dieser Zeit Reaktor- und Strahlenalarm ausgelöst. Es begann mit Three Miles Island (Harrisburg), vor 25 Jahren explodierte Tschernobyl und jetzt als Folge des schweren Erdbebens zittern wir mit den Menschen im Pazifik.


Alle 25 Jahre ein Gau

Die Wahrscheinlichkeit einer Reaktorkatastrophe wird statistisch mit 1:10.000 Betriebsjahren angegeben. Diese Abschätzung sollte beruhigend wirken. Aber bei 438 Reaktoren weltweit kommt man schon rein rechnerisch auf eine Havarie in 25 Jahren. Das ist unglaublich beunruhigend. Aber der Zufall, das sogenannte Restrisiko, ist keine Rechengröße und hält sich nicht an statistische Vorgaben. Was macht die Bundesregierung? Gerade noch hatte sie alle Warnungen in den Wind (sic!) geschlagen und die Laufzeitverlängerung der 17 deutschen Atomkraftwerke beschlossen. Jetzt handelte Angela Merkel schnell und die sieben ältesten Meiler – sofern sie nicht ohnehin abgeschaltet waren wie Brunsbüttel und darüberhinaus Krümmel – wurden für eine Sicherheitsüberprüfung vom Netz genommen.

Kurz danach betonte die CDU-Politikerin im Bundestag, sie halte an der Atomkraft fest. Wendehals hin, Wendehals her, diese Maßnahme ist also temporär, denn in drei Monaten kann sich die Lage beruhigt haben und mit der „Lage“ sind bestimmt auch, wenn nicht gar in erster Linie, die Landtagswahlen gemeint.

Mit der – bei jeder Gelegenheit – wiederholten Ankündigung, die Sicherheit deutscher Atomkraftwerke zu überprüfen, wird Schwarz-Gelb nicht mehr durchkommen, den Tanz auf dem atomaren Vulkan haben die Menschen satt.


Die Ablehnung wächst weiter

Schon in den letzten drei Jahren war am Zulauf zu Demonstrationen ablesbar, dass die latent große Ablehnung dieser riskanten Form der Energiegewinnung wieder wuchs. 50.000 Menschen demonstrierten im September 2009 in Berlin, 125.000 im Frühjahr 2010, sie bildeten eine Menschenkette von Krümmel bis Brunsbüttel. 60.000 Menschen haben jetzt mit einer Menschenkette zwischen Stuttgart und dem AKW Neckarwestheim erneut gegen den Pro-Atom-Kurs der schwarz-gelben Bundesregierung demonstriert. Die Proteste, das ist sicher, werden weitergehen. In Deutschland ist man – im Unterschied zur Abhängigkeit vom Atomstrom wie in Japan – in einer e­nergiepolitisch komfortablen Lage: Im ersten Quartal 2010 erzielte die Bundesrepublik mit gut 9 Milliarden Kilowattstunden den höchsten Exportüberschuss ihrer Geschichte. Damit wurde im ersten Quartal in Deutschland 6,7 Prozent mehr Strom erzeugt als verbraucht – obwohl die Atomkraftwerke Krümmel und Brunsbüttel nicht eine einzige Kilowattstunde produzierten. Der Exportüberschuss entsprach ziemlich exakt jener Menge, die in der gleichen Zeit in den alten Reaktoren Biblis A und B, Neckarwestheim I, Isar 1, Philippsburg 1 und Grafen­rheinfeld erzeugt wurde. Deutschland hätte auf diese acht Atomkraftwerke sofort verzichten können – und hätte selbst dann noch eine ausgeglichene Bilanz. Selbst bei einem vollständigen Atomausstieg gingen die Lichter nicht aus, bei einer Katastrophe sehr wohl. Die Zukunft gehört den Erneuerbaren Energien, gepaart mit Energieeffizienz, Energiesparen und intelligenten Formen des Energieeinsatzes.


Keine sichere Endlagerung

Das Reaktorrisiko und die nukleare Hinterlassenschaft, der hochradioaktive Müll, der eine Million Jahre sicher vor der Biosphäre abgeschlossen werden muss – das sind im Übrigen zwei Seiten einer Medaille und Ausdruck menschlicher Hybris. Die Havarie der beiden Atommülldeponien Morsleben und Asse II gaben genügend Anlass zur Revision auch der Endlagerpläne. In Gorleben soll hochradioaktiver Müll in einen Salzstock versenkt werden, der Wasserkontakt hat, Gaseinschlüsse kennt und unter dem ein großes Gasreservoir lagert. Deshalb fordern wir den sofortigen Atomausstieg und einen Neustart in der Endlagersuche.

15.04.2011
Von: Wolfgang Ehmke ist Pressesprecher der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg www.bi-