Die Zeit ist reif für eine Agrarwende

Gemeinsam mit der Gesellschaft Akzeptanz für eine zukünftige Landwirtschaft zurückgewinnen

Es ist das siebte Mal. Es ist das siebte Jahr in Folge, in dem Bäuerinnen und Bauern aus dem ganzen Bundesgebiet mit ihren Schleppern nach Berlin aufgebrochen sind, um gemeinsam mit zehntausenden Menschen für eine Agrarwende zu demonstrieren. Während am Potsdamer Platz, auf dem mittags die Auftaktkundgebung dieser Demonstration stattfinden soll, um acht Uhr morgens noch beschauliche Stille herrscht, sind die Fahrerinnen und Fahrer der Traktoren schon lange wach. Sie schmücken ihre Schlepper, hängen Banner und Plakate an Heckscheiben, Frontlader und Hänger. Übernachtet haben sie, wie schon in den Vorjahren, auf dem Stadtgut Blankenfelde. Wie jedes Jahr hervorragend versorgt, bewirtet und gebettet. Nicht wenige kennen sich bereits, treffen sich einmal im Jahr in Berlin. Und doch sind es immer wieder auch viele neue Menschen, die den strapaziösen Weg, mit dem Traktor viele hundert Kilometer zu fahren, auf sich nehmen, um den Bäuerinnen und Bauern in Berlin eine machtvolle Stimme zu verleihen. Motor an Die Kolonne setzt sich in Marsch. 130 Traktoren, zum Teil mit Hängern. Vom großen PS-Boliden über das Mittelfeld der Pflege- und Hofschlepper bis zum kleinen Obstbauschlepper. Von gaaanz alt und rostig bis fabrikneu und glänzend. Vielfältig ist sie, die Landwirtschaft. Und dabei bleiben die vielen verschiedenen Höfe, mit Milchkühen, Schweinen, Schafen, mit Acker- und Gemüsebau, Wald und, und, und ... unsichtbar im Hintergrund. Aber auch sie gehören dazu. Und noch viele mehr. Da sind die Imker mit ihren rauchenden Smokern, die handwerklich arbeitenden Bäcker und der Tankwagen der Upländer Bauernmolkerei. Hallo, Herr Schmidt Erste Station ist das Landwirtschaftsministerium. Zweireihig wird geparkt. Diese Straße ist dicht! Eng umringt der Vertreter des BML. Kameras hier, Bauern mit Plakaten und Gummistiefeln in Händen da. Und wie in jedem Jahr haben die Bauern einen Aufgabenkatalog mitgebracht. Georg Janßen von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft vermittelt nachdrücklich, dass es höchste Zeit ist zu handeln. Neun Punkte umfasst das Papier. Es geht um mehr Geld für bäuerlich-ökologische Betriebe, Anreize für eine besonders artgerechte Tierhaltung und ein Ende der Förderung von Agrarkonzernen. Erhalten und gefördert werden sollen kleine und mittlere Betriebe. Gefordert wird eine Reduktion des Antibiotikaeinsatzes und ein sofortiger Stopp für dessen Missbrauch und den Einsatz von Reserveantibiotika in der Tierhaltung. Dass Wasser und Klima als Lebensgrundlage besonders zu schützen sind, wird ebenso betont wie die Forderung nach einer massiven Reduktion von Pestiziden und ein dauerhaftes Verbot von Gentechnik, um die Artenvielfalt zu erhalten und das Bienensterben zu stoppen. Das alles geht nur, wenn Europa seine Handelssouveränität behält. Eine klare Absage an die Freihandelsabkommen TTIP und das schon im Abstimmungsprozess befindliche CETA fehlen deshalb ebenso wenig wie der Appell für globale Gerechtigkeit, eine Reduktion der Agrarexporte und eine Stärkung der Entwicklungszusammenarbeit. Genug Stoff für mehrere Legislaturperioden. Konkrete Punkte aber auch, um innerhalb der Landwirtschaft über deren zukünftige Ausrichtung diskutieren zu können. Dabei geht es nicht um eine radikale Kehrwende, sondern um die Einsicht notwendige Korrekturen vorzunehmen, so ein Traktorfahrer. Ein Platz voller Fahnen Es ist bedeckt, trocken und um die null Grad, als die 130 Traktoren, eskortiert von Polizeiwagen und Blaulicht, am Potsdamer Platz ankommen. Hier haben sich tausende, nach Zählungen der Organisatoren 18.000, Menschen versammelt. Sie alle waren dem Aufruf des Bündnisses „Wir haben es satt“ gefolgt, dem mehr als 100 Organisationen aus Landwirtschaft, Imkerei, Natur-, Tier- und Verbraucherschutz, Entwicklungsorganisationen und dem Lebensmittelhandwerk angehören. Unter dem diesjährigen Motto „Agrarkonzerne, Finger weg von unserem Essen!“ zogen die Demonstranten aus den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Gruppen vom Potsdamer Platz zum Brandenburger Tor. Angeführt wurde der Demonstrationszug direkt hinter den Traktoren von zahlreichen jungen Bäuerinnen und Bauern, die einen Hof gründen wollen. Julia Rupp, 26-jährige Bäuerin aus Honhardt in Baden-Württemberg, sagte: „Als junge Generation wollen wir eine Zukunft auf dem Land. Wir brauchen dringend ein Agrarstrukturgesetz, das Landkauf- und Pachtrechte bevorzugt an junge Bäuerinnen und Bauern gibt, nicht an Investoren. Wir müssen den Niedergang der bäuerlichen Landwirtschaft und des Lebensmittelhandwerks aufhalten, sonst kommt es zum Strukturbruch.“ Nicht gegen etwas richtet sich diese Demonstration, sondern sie tritt für eine zukunftsfähige Landwirtschaft ein. Es geht darum, den Dialog zwischen Zivilgesellschaft, konventionellen und Öko-Bauern sowie Lebensmittelhandwerkern voranzubringen, um gemeinsam Wege für eine bäuerliche Zukunftslandwirtschaft zu finden, so die Organisatoren. Reichstag, Brandenburger Tor Große Bühne, großer Vorhang. Direkt vor dem Brandenburger Tor in Sichtweite des Reichstags, ganz nah an der Politik fand die Abschlusskundgebung dieser Demonstration zum Auftakt der Grünen Woche in Berlin statt. Und während Bundeslandwirtschaftsminister Schmidt sich mit Amtskollegen aus 40 Ländern traf, um internationale Handelspraktiken zu erörtern, wurden auf dieser Bühne erneut die Eckpunkte der notwendigen Agrarreform betont. Aber es wurde auch gefeiert, die Traktorfahrer wurden bejubelt und die Gitarrenklänge der verschiedenen Bands schafften den Rahmen für gute Stimmung zwischen Bauern, Tier- und Umweltschützern und den vielen, vielen Menschen, die gekommen waren, weil sie sich der Bedeutung der Landwirtschaft für unsere Gesellschaft bewusst sind.
31.01.2017
Von: mn

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