Handelspolitik: Qualitäten nach vorne stellen

Der Agrarindustrie fehlt die Fairness im Freihandel – wenn es sie selbst trifft

Eigentlich läuft alles nach Plan. Die deutsche und europäische Agrarpolitik atmet bekanntlich die Maxime der Exportorientierung. Die Strategie scheint aufzugehen. Europa hat seine Agrarexporte von Oktober 2016 bis 2017 um 5,6 Prozent erhöht. Auf dem weltweiten Markt konnte die EU beispielsweise 25 Prozent mehr Milchpulver absetzen. Mit zusätzlichen 27 Millionen Euro will Europa in diesem Jahr den Absatz von EU-Agrarprodukten ankurbeln, etwa in Kanada, Japan, China, Mexico oder Kolumbien. "In diesen ausgezeichneten Ergebnissen spiegeln sich die fortdauernden Bemühungen der Union bei der Erschließung neuer Weltmärkte (...) wider", heißt es in einem internen Handelspapier der EU-Kommission. Mit rund 20 Ländern verhandelt die EU derzeit ehrgeizige Freihandelsabkommen oder hat bereits vorläufige Abschlüsse vereinbaren können, darunter Japan, Vietnam, Singapur, Mexico oder Kanada. Noch viel mehr Länder insbesondere in Subsahara-Afrika müssen im Rahmen der Wirtschaftspartnerschaftsabkommen bei Ratifizierung ihre Zölle empfindlich für europäische meist billigere Agrarimporte öffnen.

Freihandel zerstört EU-Landwirtschaft...

Bei einem Abkommen dennoch hakt es bei der Agrarindustrie: Das Freihandelsabkommen mit den Mercosur-Staaten Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay. Der Agrarsektor ist hart umkämpft und macht einen Abschluss schwierig. Die EU musste weitere Zugeständnisse machen und hat im Februar für Rindfleisch die Freihandelsquote auf 99.000 Tonnen und die Quote mit niedrigen Zöllen für Zucker auf 120.000 Tonnen erhöht, gegenüber 70.000 und 100.000 Tonnen. Gegen die Brüsseler Zugeständnisse schlagen der Verband der Europäischen Zuckerindustrie, die europäischen Rübenanbauer und auch die EU-Ausschüsse der Bauernverbände (COPA) und ländlichen Genossenschaften (COGECA) Alarm. Unterstützt werden sie von einigen EU-Mitgliedsstaaten, Deutschland ist nicht dabei. Sie fürchten eine Bedrohung der hohen Umwelt-, Tierschutz- und Sozialstandards in Europa. Die Zuckerindustrie zeigt sich besorgt, dass Gentechnik-Rohrzucker in die EU geschwemmt werden könnte. Ähnliche Reaktionen sind zu erwarten, wenn die EU-Kommission die Verhandlungen für eine Freihandelsabkommen mit Neuseeland und Australien beginnt. Es fehlt nur noch die Verabschiedung des vorliegenden Verhandlungsmandat durch den EU-Rat. Beide ozeanischen Länder vereint das Interesse, Milchprodukte und rotes Fleisch nach Europa exportieren zu wollen. Damit würden sich künftige Importquoten weiter akkumulieren. Mit Ceta muss die EU, wenn auch Deutschland dem Abkommen im Bundesrat und Bundestag zustimmt, 50.000 Tonnen Rindfleisch langfristig zollfrei importieren. Dazu würden bei einem Abschluss mit den Mercosurländern weitere 99.000 Tonnen kommen, plus künftige Freihandelsquoten aus Ozeanien. Auch der angespannte europäische Milchmarkt müsste mit zusätzlichen Milchimporten aus Neuseeland und Australien rechnen. Das Thünen-Institut geht bei einer vollständigen Handelsliberalisierung von einem Produktionsrückgang in Deutschland zwischen 3,3 Prozent und 3,9 Prozent bei Rohmilch aus. Spätestens bei diesem Handelsabkommen wird auch die Milchindustrie Bedenken äußern, die sich sonst für Freihandel und Exportsteigerung stark macht, wie auch die Zucker- und Fleischindustrie. Die Agrarindustrie und ihre politischen Vertreter haben die Handels- und Exportpolitik in eine Sackgasse manövriert.

... und bäuerliche Strukturen in Brasilien

Bäuerliche und gesellschaftliche Gruppen kritisieren schon längst die exportorientierte Agrar- und die damit verbundene Handelspolitik. Aber es geht bei den Importen nicht nur um Menge, auch die Art und Weise der Produktion spielt eine Rolle, wie das Beispiel Mercosur zeigt: In den Mercosurstaaten leben 250 Millionen Menschen davon allein 200 Millionen Menschen in Brasilien. Brasilien hat in den vergangenen 14 Jahren die Rindfleischproduktion ausgebaut und die Exporte um 700 Prozent erhöht. Heute ist Brasilien größter Exporteur von Rindfleisch auf dem Weltmarkt. Die Viehwirtschaft ist eine bedeutender Treiber bei der Entwaldung und bei Landnutzungsänderungen. Die entwaldeten Flächen sind binnen einem Jahr um 29 Prozent gestiegen. Die größten Wachstumsraten der Rinderherden vollziehen sich in Amazonien, der größere Anteile seiner Produktion exportiert. Mit dieser Entwicklung breiteten sich auch unreguliert Schlachthöfe aus. 71 Prozent der 52 Schlachthöfe im Bundesstaat Amazonas sind illegal. Aufgrund mangelnder Regulierung verfügen viele Schlachthöfe über keinerlei Mechanismen, um die Herkunft des Schlachtviehs zu verifizieren. Diese Grauzone bietet den vielen am Rande der Legalität operierenden Rinderfarmen der Region einen Absatzmarkt. Darunter finden sich zahlreiche Farmen, die in Landkonflikten mit Kleinbäuerinnen und -bauern sowie Indigenen verwickelt sind und gegen das Arbeits- und Umweltrecht verstoßen. Die Rinderfarmen stehen an der Spitze der Unternehmen, die auf der bis vor Kurzem regelmäßig herausgegebenen "schwarzen Liste" des brasilianischen Arbeitstministeriums über sklavenähnliche Beschäftigung auftauchen. Die Schweine- und Geflügelproduktion ist in Brasilien weitestgehend vertikal industriell organisiert. Während in weiten Bereichen die Rinderhaltung stark intensiviert und industrialisiert wurde, gibt es nach wie vor Strukuren unabhängiger kleiner und mittelgroßer Rinderbetriebe. Allerdings besagen Prognosen, dass sich der Trend zur Rationalisierung und Produktionssteigerung auch hier weiter fortsetzen wird. Bis zum Jahr 2025 sollen die Rindfleischexporte um 39 Prozent steigen.

Qualifizierter Marktzugang. Dumping verhindern

Schon jetzt importiert die EU jährlich mehr als 100.000 Tonnen Rindfleisch aus Brasilien, dass entspricht rund ein Drittel der gesamten Rindfleischimporte. Damit unterstützt Europa die negativen Folgen der Rindfleischproduktion aktuell in Brasilien und wird es mit der geplanten Ausdehnung der Freihandelsquoten noch stärker tun. Die Verbraucher in Deutschland und Europa formulieren ihre Ansprüche an die heimische Tierhaltung. Das hat eine Debatte um den Umbau in der Tierhaltung ausgelöst. Sie wollen aber auch kein Steak auf dem Teller, dessen Produktion zur Entwaldung oder Vertreibung von Landlosen geführt hat, dessen Schlachtkörper mit Chlor besprüht wurde, dessen Tiere mit Hormonen gemästet, nicht artgerecht gehalten und mit Gentechnikfutter gemästet wurden. Gleichzeitig führen diese Importe auch zu Sozial- und Umweltdumping in der europäischen Rinderhaltung. Die europäische Landwirtschaft muss vor Wirkungen geschützt werden, die qualitative und bäuerliche Strukturen zerstören. Dabei kann auch der Importpreis eine Rolle spielen, wenn dieser heimische bäuerliche Strukturen hier und dort zu unterbieten droht. Die Zeit ist reif, für die Qualifizierung des Marktzugangs. Dieses Konzept hat die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) mit landwirtschaftlichem Blick auf die Handelspolitik entwickelt. Der Qualifizierte Marktzugang bedeutet, dass die EU das Recht hat, bei Importen von Agrarprodukten Qualitäten einzufordern. Das kann bei Rindfleischeinfuhren aus den Mercorsurstaaten bedeuten, das bei der Erzeugung und in der Wertschöpfungskette Menschenrechte geachtet werden, dass die Tiere artgerecht gehalten werden. Weidehaltung hat Vorrang und eine Erzeugung soll nicht zur Entwaldung oder Vertreibung von Landlosen führen. Die Exporteure sind in der Pflicht, diese Qualitäten einzuhalten und entsprechend zu kennzeichnen. Werden diese Kriterien nicht eingehalten, kann die EU entweder die Importe ablehnen oder eine Abgabe darauf erheben. Aus dieser können dann menschenrechtsachtende und bäuerliche Strukturen in den jeweiligen Ländern gefördert werden. Der Qualifizierte Marktzugang kann für alle Agrarprodukte angewendet werden. Die Anforderungen unterscheiden sich nach den Umständen in den jeweiligen Exportländern. Umgekehrt haben alle Länder, die Agrarprodukte aus der EU importieren, ebenfalls das Recht, ihre Kritierien zu entwickeln. Das kann bei Entwicklungsländern sein, dass sie zur Armuts- und Hungerbekämpfung ihre heimische Tierhaltung ausbauen und weiterentwickeln wollen und deshalb den Schutz vor billigen EU-Agrarimporten brauchen. Es reicht längst nicht mehr aus, nur über Mengen zu diskutieren. Das zeigt die Debatte in der festgefahrenen Handelspolitik deutlich. Die Fakten zur Rinderhaltung in Brasilien basieren auf den Studien: "Das EU-Mercosur-Abkommen auf dem Prüfstand", Dezember 2017, Hrsg. Misereor und "The Rise of big Meat", November 2017, Hrsg. IATP, HBS Brasilien, FASE. Ein Dank an Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf für den gedanklichen Austausch zum Qualifizierten Marktzugang.
08.03.2018
Von: Berit Thomsen

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