Nutztierstrategie auch fürs Wasser

Berlin dreht wieder am Düngerecht. Schon bei der letzten Reform 2017 war allen bewusst, dass sie nicht reichen würde. Die Problematik von örtlich stark gewachsenen Tierbeständen auf wenig Fläche wurde nicht angegangen. Aus dem Missverhältnis „Viele Tiere – wenig Fläche“ ergibt sich zwangsläufig ein Zuviel. Die überschüssige Gülle ist in den Intensivregionen zum teuren Entsorgungsfall geworden. Die bis weit über 1.000 Euro pro ha angestiegenen Pachtpreise verdeutlichen, wie hoch der Druck ist. Die jetzt von Berlin nach Brüssel gemeldeten Veränderungen an der Düngeverordnung werden die Flächensituation zusätzlich massiv verschärfen. Dabei sind die Pachtpreise schon jetzt ein Hauptkostenfaktor für die Betriebe. Sie werden also vor der Wahl stehen, entweder noch mehr zu bieten, um den Nachbarn zum Aufgeben zu drängen, oder aber die eigenen genehmigten Stallkapazitäten aufgrund der Güllemenge ohne Entsorgungsnachweise nicht mehr auszulasten. Beides kostet Einkommen und Existenzen. Gleichzeitig ist offen, ob das in den Hotspots zu einem spürbaren Rückgang der Tierzahlen und Güllemengen führen wird. Zu befürchten ist vielmehr, dass vor allem größere Ställe unsichtbar die Besitzer wechseln, die ehemaligen Besitzer zu Lohnmästern werden und es zu einer weiteren Industrialisierung der Produktionsebene kommt, weil große Konzerne noch mehr Ställe übernehmen. Bundesministerin Julia Klöckner packt das Problem wieder nicht bei den Ursachen an, sondern plant ein Bundesprogramm Gülle: Steuergeld für den Bau weiterer Güllebehälter, auch in Ackerbauregionen, und Fördergelder für die teure Separierung, also die Aufspaltung der Gülle in eine transportwürdige nährstoffreiche feste Fracht und in nährstoffarmes Wasser. Gleichzeitig werden auch all die Betriebe, die die Probleme nicht verursachen, in Mithaftung genommen: Alle müssen jede Düngung nun einzelschlagbezogen dokumentieren. Auch die Obergrenze von 170 kg Stickstoff pro Hektar aus organischer Düngung soll einzelflächenspezifisch greifen – das trifft z.B. den Biogemüseanbau, der nicht auf Mineraldünger ausweichen kann, besonders hart. Und in den nitratbelasteten Gebieten müssen alle Betriebe dann die Düngung auf 20 Prozent unter N-Düngebedarf reduzieren, auch wenn sie schon bisher maßvoll düngen und auf Maximalerträge verzichten. Es wird immer verrückter. An zwei Stellen muss jetzt angesetzt werden: 1.) Wir brauchen einen viel stärker risikobezogenen Ansatz. Erhöhte Dokumentations- und Reduktionspflichten sind wichtig bei Betrieben mit einem hohen Tierbesatz von über zwei Großvieheinheiten pro Hektar, bei Biogasanlagen mit über zwei Kilowatt je Hektar, bei Betrieben mit Güllezukauf oder mit besonders düngeintensiven Kulturen. Die Daten, mit denen Risikobetriebe identifiziert werden können, liegen vor. 2.) In den Regionen mit zu hohem Tierbesatz ist eine Reduzierung der Tierbestände nicht dem „Strukturwandel“ zu überlassen, sondern durch gezielte Umbau- und Unterstützungsmaßnahmen anzusteuern. Dazu müssen die verschiedenen Baustellen der aktuellen Landwirtschaftspolitik direkt zusammengeführt werden: mehr Tierwohl bei weniger Tieren pro Quadratmeter und folglich weniger Gülle, aber mit höheren Erlösen! Eine Voraussetzung dafür sind faire, d.h. höhere Preise über eine strategische Marktdifferenzierung auf Grundlage einer aussagekräftigen Haltungs- und Herkunftskennzeichnung, die möglichst schnell kommen muss. Weil das allein nicht reichen wird, um die Mehrkosten der Betriebe zu decken, muss zusätzliches Fördergeld für tiergerechte und umweltverträgliche Haltungsverfahren auf den Tisch. Hier muss mindestens die so genannte „Landmilliarde“ aus dem Koalitionsvertrag eingesetzt werden. Das fordern wir allen voran von Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner, aber auch von Bundestagsfraktionen von CDU/CSU und SPD. Für den Erhalt bäuerlicher Strukturen und einen Umbau der Tierhaltung hin zu einer artgerechten Haltung und flächengebundenen Tierzahlen brauchen wir überzeugende verbindliche Vorgaben, aber auch eine finanzielle Unterstützung, die den Betrieben hilft, die von der Politik geförderten Fehlentwicklungen der vergangenen Jahrzehnte zu korrigieren. Eine überzeugende Nutztierstrategie, die uns Bauern und Bäuerinnen wirtschaftliche Perspektiven eröffnet und gesellschaftliche Konflikte um landwirtschaftliche Fehlentwicklungen befriedet – das ist ureigene Aufgabe von Politik. Es eilt!
03.04.2019
Von: Martin Schulz, AbL-Bundesvorsitzender

Martin Schulz, AbL-Bundesvorsitzender