Ein Haltungs-Sortiersystem für den Anfang

Vorbehalte gibt es genug, gegen alles und jeden: die Politik, die nur redet und nicht handelt, der Handel, der zwar handelt, aber nur alibimäßig und falsch, die Verbraucher, die auch nur reden, immer wollen und doch nicht so handeln, die Bauern, die immer jammern, wie viel sie schon tun, aber eben doch nie genug, und am liebsten hätten, dass alles so bleibt, wie es ist. Es ist nicht so einfach, einen Weg für die Nutztierhaltung der Zukunft auszumachen oder zu entwickeln. Nun versucht sich von offizieller politischer Seite gerade der ehemalige Bundeslandwirtschaftsminister Jochen Borchert als Adjutant seiner ministerialen Nachfahrin Julia Klöckner (CDU) mit einem Kompetenznetzwerk zur Nutztierstrategie. Der Tierschutzbund hat schon angekündigt, nicht mitzumachen, zu lange habe man doch bereits in solchen Diskussionsrunden gesessen und alles längst rauf und runter debattiert. Das ist sicher nicht ganz falsch und trotzdem bleibt eigentlich kaum eine andere Möglichkeit, außer einfach aufzugeben. Immerhin hat Borchert bereits betont, dass es ohne frisches Geld nicht gehen wird, will man nicht weiterhin sehenden Auges bäuerliche Betriebe durch immer weiter reichende Anforderungen in Existenznöte treiben. Ob er allerdings erkannt hat, dass es, wie es die AbL in ihrem Papier zum Umbau der Tierhaltung fordert, aber auch Sabine Klein von der Verbraucherzentrale in Düsseldorf formuliert, „einen Paradigmenwechsel“ braucht, sei noch mal dahingestellt. Das System sei falsch, sagt Klein, das die Bauern und Bäuerinnen seit Jahrzehnten in Rationalisierung, Vollspalten und Weltmarktorientierung getrieben habe. Das unterschreibt auch die AbL – aber Borchert? Kreative Eigenleistung Neben dem Geld, das die Politik für den Umbau der Tierhaltung locker machen muss, soll auch der Verbraucher sich finanziell beteiligen. Damit er das kann, muss er aber überhaupt erst mal erkennen können, welches Fleischendprodukt im Laden von Bauern und Bäuerinnen mit einem auch finanziell höheren Aufwand im Stall mit mehr Tierwohl erzeugt wurde. Lange zierte sich die Politik im Hinblick auf eine Haltungskennzeichnung, auch, weil der Bauernverband sie ablehnte. Erst als sie nicht mehr abzuwenden schien, präsentierte Klöckners Vorgänger Christian Schmidt schon mal das Zeichen. Das Ministerium arbeitet schon wieder über zwei Jahre dran. Klöckner hat jüngst Kriterien diskutieren lassen und vorgelegt. Wirkliche Fakten geschaffen hat allerdings der Handel. Schon im vergangenen Jahr führten fast alle großen Handelsketten irgendwie geartete Haltungskennzeichnungen ein. Zum April dieses Jahres einigte man sich darauf, auf ein einheitliches System umzusteigen. Die Regie führt die Initiative Tierwohl. Es gibt ein Logo mit Farben und Nummern, drüber steht „Haltungsform“, drunter ein Schlagwort, das die jeweilige Kategorie charakterisiert: 1, rot, Stallhaltung, steht für den gesetzlichen Mindeststandard; 2, blau, Stallhaltung plus, kennzeichnet die Kriterien der Initiative Tierwohl, 3, orange, Außenklima, steht für noch mehr Platz im Stall und mindestens Kontakt zur Außenluft; 4, grün, Premium, garantiert doppelt so viel Platz im Stall wie der gesetzliche Standard, Auslaufhaltung, Bio fällt hier hinein. Das Bundesministerium kritisierte sofort, dass das System „keine kreative Eigenleistung“ sei und nur einsortiere. In seinem eigenen Label werde es um ein wirkliches Mehr in Sachen Tierwohl durch die ganze Haltungskette, also auch bei den Ferkeln, Küken usw. gehen. Nur dass es das eben noch nicht gibt und dass es, wenn es denn kommt, zumindest bis irgendwann in ganz ferner Zukunft vielleicht mal eine europäische Initiative möglich ist, auch nur freiwillig sein wird. Das wiederum kritisieren die Amtstierärzte, die das Geld für das Marketing des Labels – Klöckner hat bereits eine Kampagne von 70 Mio. Euro angekündigt – lieber in bessere Kontrollen und möglicherweise höhere verpflichtende Tierschutzstandards gesteckt sehen wollen. Auch bei der Verbraucherorganisation Foodwatch fällt das Label des Handels durch, es suggeriere dem Verbraucher Verbesserungen im Tierwohl, die es gar nicht gebe. Es passiert was „Man muss erst mal verstehen, worum es hier geht.“ Es klingt, als habe Patrick Klein von der Initiative Tierwohl in den letzten Wochen öfter schon versucht, den Vorstoß des Handels zu erklären. „Unser Kennzeichnungssystem ist kein Produktsiegel, sondern ein System, das erstmal einordnet.“ Es diene der Transparenz und der Bewusstseinsschärfung der Verbraucher. Die reagieren an der Stelle tatsächlich nicht alle wie Foodwatch, sondern in Person von Sabine Klein von der Verbraucherzentrale Düsseldorf durchaus mit Applaus. „Wir begrüßen vor allem, dass überhaupt etwas passiert.“ Schon Anfang der 2000er Jahre haben sich die europäischen Verbraucher dafür ausgesprochen, dass Fleischprodukte in Hinblick auf die Tierhaltung gekennzeichnet werden sollten. Sie seien frustriert und wüssten nach wie vor nicht, woran sie sich orientieren sollen. Der Handel sein nun vorgeprescht und man finde gut, dass der Markt damit transparenter werde, so Klein. Verbraucher könnten auf den Produkten erkennen, ob ein höherer Preis auch eine bessere Tierhaltung bedeute. Und es sei auch zu begrüßen, dass es mit der Stufe 3 eine Kategorie für wirkliche Verbesserungen in der Tierhaltung gebe, die nicht gleich allen Kunden das doch noch mal deutlich teurere High-End-Produkt – meist Bio – in Stufe 4 abverlange. Aber es gebe eben auch einige Aber bei der Sache. Sabine Klein fürchtet die Verwirrung der Verbraucher durch die umgekehrte Nummerierung, schließlich gilt in der Schule und bei der Eierkennzeichnung: je geringer die Ziffer, desto besser das Produkt. Außerdem seien die Abstände zwischen den Stufen nicht nachvollziehbar, liege doch nicht viel zwischen 1 und 2, dann aber ein deutlicher Schritt, der sich in der Deutlichkeit auch finanziell niederschlagen müsste zwischen 2 und 3. Der Verbraucher erwarte bei der Steigerung der Anforderungen wie auch beim Preis eine gewisse Linearität. „Es wirkt eben doch alles ein bisschen so, als wolle der Handel die Stufe 2 und damit seine eigene Tierwohlinitiative promoten.“ Im Geflügelbereich der Eigenmarken (schließlich sind nur die überhaupt erst gekennzeichnet) ist fast alles in der Kühltruhe mit Stufe 2 gekennzeichnet, dort sind die Produktionsketten übersichtlicher als bei Schweinen. „Natürlich suggeriert das dem Verbraucher, dass hier schon richtig viel passiert ...“, Klein lässt den Satz so angefangen stehen. Wahlfreiheit? Ihr Namensvetter von der Initiative Tierwohl setzt auf die Bewegung, die durch die Initiative bereits entstanden ist und nun auch dadurch, dass alles automatisch kategorisiert werde, weitergehe. Auf den landwirtschaftlichen Betrieben wie auch bei den Marktpartnern, die bislang noch nicht mitmachen. Auch bei Schweinefleisch, das habe man als Initiative Tierwohl ja schon angekündigt, arbeite man an der Nämlichkeit für die Produkte aus Betrieben, die sich an der Initiative beteiligen, noch sei man bei 1 bis 2 % mit der 2 gekennzeichneten Schweinefleischprodukten. Die Teilstückproblematik, die noch nicht beteiligte Sauenhaltung – bei Schweinen ist es alles komplizierter. Klein sagt dazu „Ein umfängliches Angebot in allen vier Stufen vorzuhalten wäre sehr teuer.“ Denkt man die wirklich freie Verbraucherentscheidung, die jedes Produkt in jeder Haltungsstufe im Supermarkt vorfinden müsste, zu Ende, müssten vier getrennte, parallele Produktionsketten entstehen. Ob das wirklich von allen Beteiligten gewollt ist und angestrebt wird, sei dahin gestellt. Die Realität ist gerade – noch – eine andere. In den meisten Supermärkten gibt es alles in Stufe 1, Geflügel in 2 und vielleicht ein paar Produkte Bio in 4. Gerade in der aus Verbrauchersicht spannenden Stufe 3 machen bislang im nennenswerten Umfang nur Aldi und Penny ein Angebot – und selbst die nicht überall. Daraus macht der Handel die Aussage: Wir verkaufen das meiste Fleisch in Stufe 1 und 2, also ist dem Kunden das Tierwohl wohl doch nicht so viel wert. „Der Verbraucher reagiert zurückhaltend auf das höherpreisige Angebot“, sagt auch Patrick Klein von der Initiative Tierwohl und beruft sich auf eine Untersuchung der Universität Osnabrück. Sie hatte über einen kurzen Zeitraum den Absatz von neu eingeführten speziellen Tierwohl-Produkten in Edeka-Märkten untersucht. Nur 16 % der Kunden griffen zu dem teureren Fleisch. Bewegung „Es ist scheinheilig und unzulässig, dass der Handel die Entwicklungen des vergangenen Jahres so interpretiert“, hält Sabine Klein dagegen. Solange das Angebot nicht da sei, habe der Verbraucher doch die Wahlfreiheit gar nicht, so Klein. „Erst wenn ein nennenswerter Anteil aller Produkte von allen Tierarten in den verschiedenen Stufen im Handel liegt, kann man ein Fazit ziehen.“ Die Osnabrücker Studien könne man auch positiver auslegen, ziehe man die Kürze der Verlaufszeit in Betracht oder rechne das verkaufte Biofleisch auch in den Anteil derer, die Tierwohl kaufen wollen. Aus Sicht von Klein wird hier vom Handel zu viel in eine Richtung interpretiert, die möglichst wenig Veränderung verheißt. „Im Gegensatz zu seiner Außendarstellung habe ich den Handel in Deutschland oft verweigernd erlebt. Wir fordern ihn auf, dass er das Angebot in den Stufen 3 und 4 deutlich erhöht“, sagt Klein. Und endlich müsse sich dann auch die Politik bewegen, konkret werden, den Bauern und Bäuerinnen Rahmenbedingungen setzen und sie mit entsprechenden Förderprogrammen beim Umbau der Tierhaltung unterstützen.
07.05.2019

Tierwohl mit Auslauf, Sonne und sogar Blumenschmuck