Pestizidkartell: Betroffene LandwirtInnen können sich bei der AbL melden

Betroffene Bäuerinnen und Bauern, die sich durch die Pestizid-Kartellabsprachen geschädigt fühlen und sich wehren wollen, wenden sich bitte an die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft: Die AbL prüft ein gemeinsames rechtliches Vorgehen der Betroffenen.

Zum Hintergrund: Unternehmen bilden ein Pestizidkartell

Wenn Unternehmen Preise und Rabatte absprechen, bleiben die Interessen der Kunden auf der Strecke

Die Absprache von Preislisten und Rabatten, aber teilweise auch Einzelpreisen beim Verkauf an Einzelhändler und Endkunden wirft das Bundeskartellamt sieben Großhändlern in Deutschland vor und verhängt Bußgelder in Millionenhöhe. Es sind prominente Namen in der Agrarbranche: AGRAVIS Raiffeisen AG, Hannover/Münster, die AGRO Agrargroßhandel GmbH & Co. KG, Holdorf, die BayWa AG, München, die BSL Betriebsmittel Service Logistik GmbH & Co. KG, Kiel, die Getreide AG, Hamburg, die Raiffeisen Waren GmbH, Kassel, und die ZG Raiffeisen eG, Karlsruhe. Insgesamt 154,6 Millionen Euro sollen die Unternehmen für ihre Absprachen, die immerhin über 17 Jahre erfolgten, zahlen. Begonnen hatte alles mit Hausdurchsuchungen im Jahr 2015. Dass die Datenmenge groß und die Faktenlage komplex ist, zeigt die fünfjährige Untersuchung, die erst jetzt zu einer abschließenden Bewertung durch das Bundeskartellamt führte.

Kein Schaden entstanden

Das Bundeskartellamt trifft mit seiner Entscheidung keine Aussage bezüglich eines Schadens, der Endkunden, in diesem Fall vor allem Bauern, aus den Preisabsprachen entstanden sein könnte, sondern bewertet vordergründig, ob die Bildung eines Kartells vorlag. "Unsere Ermittlungen haben gezeigt, dass die Unternehmen seit dem Jahr 1998 bis zum Zeitpunkt unserer Durchsuchung im März 2015 jeweils im Frühjahr und Herbst ihre Preislisten für Pflanzenschutzmittel miteinander abgestimmt haben", so der Präsident des Bundeskartellamtes, Andreas Mundt. "Grundlage der Abstimmung war eine gemeinsame Kalkulation der Großhändler, die weitgehend einheitliche Preislisten für Einzelhändler und Endkunden zur Folge hatte. Vor allem in den ersten Jahren übernahmen einige Unternehmen die abgestimmte Preisliste einfach für die eigene Preissetzung, indem sie faktisch nur noch ihr Firmenlogo über die fertige Liste setzten." Sowohl die Baywa als auch Agravis haben mit dem Kartellamt kooperiert und sind zu einer Einigung gekommen, bei der die Unternehmen zweistellige Millionenbeträge zahlen. Dennoch zeigte sich Agravis-Konzernchef Dr. Dirk Köckler nach Berichten von Top Agrar "geschockt". 43,7 Mio. Euro soll das Unternehmen für seine illegalen Absprachen zahlen. Glaubt man Köckler, dann gab es noch nicht mal einen Gegenwert. Denn den Bauern sei kein Schaden entstanden, so Köckler. Glauben will man dies indes nicht. Denn die "Tiefe" der Preisabsprachen war groß. Neben den Kalkulationsschemata sowie den fertig berechneten (rabattfähigen Brutto-)Preislisten, die allen Unternehmen jeweils zur Frühjahrs- und Herbstsaison zur Verfügung gestellt wurden, gab es auch Absprachen der darauf zu gewährenden Rabattspannen sowie teilweise Netto-Netto-Preise für zentrale Produkte.

Geschädigte Bäuerinnen und Bauern

Finanziert haben das ganze System die Bauern mit ihrem Einkauf von Pflanzenschutzmitteln. Besonders enttäuschend muss es für viele Betriebe sein, dass auch die vermeintlich "eigenen" Genossenschaften wie Baywa, Raiffeisen und Agravis sich Vorteile gegenüber ihren zumindest ideellen Mitgliedern erschlichen haben. Wie hoch deren Schaden ist, lässt sich derzeit nur vage schätzen. In der Folge von Kartellbildungen käme es zu durchschnittlich 15 Prozent höheren Preisen, so der Präsident des Bundeskartellamts. Wie hoch der Schaden bei jedem einzelnen Landwirt ist, hängt naturgemäß eng mit der Betriebsgröße und der Menge an eingekauften Pestiziden zusammen. Die erfolgte Einigung zwischen Kartellamt und den Agrarhändlern lässt die Schadensfrage zunächst offen. Dies zu klären, bedarf eines eigenen Verfahrens zwischen den potentiell Geschädigten und den Handelsunternehmen, also zwischen Bauer und Agrarhändler.

David gegen Goliath

Wer will sich schon mit Agravis, Baywa oder der Getreide AG anlegen? Vor allem, weil aktuell die individuelle Schadenshöhe überhaupt nicht abgeschätzt werden kann. Wie sich die Verkaufspreise entwickelt hätten, wenn es nicht zur Bildung eines Kartells gekommen wäre, das muss im Rahmen eines möglichen Prozesses von einem Wettbewerbsökonomen geklärt werden. Schon seit längerem im Bereich Kartellverfahren tätig ist die international aufgestellte Kanzlei Hausfeld. Kartellanwalt Dr. Alex Petrasincu von Hausfeld erklärt, man wolle sich auch im Fall des Pestizidkartells engagieren. Da bei diesem Prozess hohe Kosten zu erwarten sind, weist Petrasincu auf die Möglichkeit der Zusammenarbeit mit einem Prozessfinanzierer hin. Grundlage für eine Klage ist allerdings, dass die Betriebe Rechnungen und Belege vorlegen können, im Optimalfall für den gesamten Untersuchungszeitraum 1998 bis 2015. Eine Klage muss innerhalb des kommenden Jahres eingereicht werden, um eine Verjährung auszuschließen. Inwieweit ein Teil der betroffenen Jahre schon jetzt von einer Verjährung betroffen sein könnte, muss sich im Verfahren klären. Der Deutsche Bauernverband will seine Rolle als Interessenvertreter von Bäuerinnen und Bauern bisher nicht wahrnehmen, berichtet ein Prozessfinanzierer, der mit dem Verband zuvor Kontakt aufgenommen hatte, um schnell an möglichst viele Geschädigte herantreten zu können. Grund seien offenbar die zu engen personellen Verbindungen zwischen dem DBV und den vom Kartellverfahren betroffenen Unternehmen, so die Aussage des Finanzierers.

Prozessfinanzierung

Schadensersatzprozesse sind zumindest in Zeiten niedriger Zinsen u. a. für Investmentfonds eine Möglichkeit, Geld anzulegen. Als Gegenleistung wird dem Prozessfinanzierer ein zuvor festgesetzter Anteil der potentiellen Schadensersatzsumme (25 bis 30 %) zugesprochen. Im Gegenzug sollte der Prozessfinanzierer die gesamten Kosten der Anwälte auch der Gegenseite sowie möglicher Gutachter übernehmen. Vor allem bei langwierigen Prozessen kann dies für den Kläger von Vorteil sein. Auch ist die Bereitschaft des Finanzierers, in das Verfahren einzusteigen, schon ein erster Hinweis auf dessen Erfolgsaussichten. Der Artikel erschien in der Unabhängigen Bauernstimme Februar 2020
11.02.2020
Von: Marcus Nürnberger

Fotograf: Fred Dott