Solidarität

Als vor einigen Jahren tausende von Menschen durch das Ebola-Virus dahingerafft wurden, haben wir das bedauernd zur Kenntnis genommen, wir leben ja nicht in Liberia oder im Kongo. Wenn im brutalen Syrienkrieg seit 2011 mehr als 380.000 Menschen getötet und mehr als 11 Millionen vertrieben werden, dann macht das manche von uns fassungslos, aber bei uns sind ja keine Bomben gefallen. Dass geflüchtete Menschen in total überfüllten Lagern auf einer wunderschönen Urlaubsinsel zusammengepfercht werden und menschenunwürdig leben, ist für eine zivilisierte europäische Gesellschaft ein Armutszeugnis, aber was tun? Dass unsere Konsum- und Verschwendungsgesellschaft schon jetzt viele Klimaflüchtlinge erzeugt, lässt uns nur weiter konsumieren. NSU, Kassel, Halle, Hanau ... was war da noch mal? Jetzt kommt Corona und jetzt wird es anders und ernst. Wir haben uns mit unserem Tun selbst zu beschäftigen, weil die Gefahr nicht irgendwo in China ist, sondern vor unserer Tür lauert. Es ist wohltuend, dass die politisch Verantwortlichen und Wissenschaftler/innen mit ruhiger Führung und größter Ernsthaftigkeit vorgehen und wir von Glück sagen können, dass nicht Lügner wie Trump oder Bolsenaro die Regierungsgeschäfte führen. Einer befreundeten Journalistin habe ich gesagt: Vielleicht hat diese große Krise für uns alle auch etwas Gutes. Wir müssen viele Gänge zurückschalten, das „Immer höher, schneller, weiter, intensiver” funktioniert nicht mehr. Sie widerspricht mir, nennt mich einen Träumer. Alle wichtigen Unternehmen und Konzerne hätten schon im Februar ihre besten Leute auf Homeoffice getrimmt, damit alles so weiterlaufen kann wie bisher. Trotzdem: Es wird nicht so weitergehen. Diese Pandemie verlangt uns allen viel ab, verlangt viele Opfer, viele Menschenleben. Das Nachdenken über uns und unser Handeln wird erzwungen. Was macht diese Krise mit uns und unserer Zukunft? Halten wir das wirtschaftlich auf den Höfen durch und wie lange? Lieferketten sind unterbrochen, Erzeugerpreise fallen, fest eingeplante Arbeitskräfte kommen nicht. Wurde gestern noch von notwendiger Beschleunigung des Strukturwandels in der Landwirtschaft herumschwadroniert, um konkurrenzfähig für den Weltmarkt zu produzieren, muss heute viel mehr darüber nachgedacht werden, dass die von uns immer eingeforderte Wertschätzung auch in politisches Handeln und Unterstützung umschlägt. Das bedeutet aber auch, dass nicht nur über die Rettung von Lufthansa, VW und anderen Großkonzernen nachgedacht werden darf, sondern es muss auch verhindert werden, dass die krisengebeutelten bäuerlichen Betriebe durch Corona ins Aus geschickt werden. Die AbL selbst hat Instrumente einer sozial und ökologisch gerechteren Verteilung der Agrargelder vorgeschlagen. Die Vorschläge liegen auf dem Tisch und können jetzt gerade für kleinere und mittlere Betriebe existenzerhaltend sein. Hilfe innerhalb der Familien und Freundinnen und Freunde, Nachbarschaftshilfe, Unterstützung im Dorf, aus der Region, von Stadt zu Land und umgekehrt sind jetzt wertvoll, sind gelebte Solidarität statt Ellbogenmentalität. Solidarität entsteht nicht automatisch, sie bedeutet für uns Arbeit. Das wichtige Gebot ist „Abstand halten”, zurückstecken, um andere zu schützen. Und doch können wir gedanklich und praktisch enger zusammenrücken, wir sollten das AbL-Netzwerk und unsere persönlichen Netzwerke dafür nutzen. Bleibt achtsam und gesund.
02.04.2020
Von: Georg Janßen, AbL-Bundesgeschäftsführer

Georg Janßen, AbL-Bundesgeschäftsführer