Im Bundestag parteiübergreifend deutliche Kritik an der Fleischindustrie

„Jetzt ist schnelles Handeln in den Unterkünften und in den Betrieben gefordert. Die Zeit des Wegsehens, die Zeit des Wegduckens, des Verdrängens muss endlich beendet werden“, erklärt der agrarpolitische Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen, Friedrich Ostendorff, im Rahmen einer von seiner Fraktion beantragten aktuellen Stunde im Bundestag zu den Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie. Die unhaltbaren Zustände in der Schlachtindustrie seien seit Jahren bekannt wie beispielsweise menschenunwürdige Arbeits- und Wohnsituation, unzureichende Entlohnung oder das Werkvertragsunwesen mit oft sehr zwielichtigen Subunternehmern. „Seit Jahren unternimmt aber die Bundesregierung nichts gegen das Billigfleischsystem“, kritisiert Ostendorff. Die von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil geäußerten Empfehlungen und die von ihm immer wieder vorgetragene Haltung sei zwar „sehr ehrenwert, aber sie müssen sich endlich in klaren Regeln mit Strafbewehrung niederschlagen. Sonst sind sie wirkungslos“, so Ostendorff. Die betroffenen Unternehmen müssen seiner Ansicht nach so lange geschlossen bleiben, bis die Einzelunterbringung gewährleistet ist, und bei der Arbeit muss ein Mindestabstand von 1,50 Metern eingehalten werden. „Das ausbeuterische Billigfleischsystem, das europäische Mitbürger schamlos ausnutzt, muss sofort beendet werden“, fordert der grüne Abgeordnete. Darüber hinaus fordert er die CDU/CSU auf „den Klöckner’schen Spargelhelferpakt mit dem Bundesinnenminister“ zu stoppen, der mit Blick auf die Corona-Pandemie „alle Schutzmaßnahmen grob missachtet“. Und „den Betrieben sei gesagt: Stellen Sie die Menschen endlich zu angemessenen Tariflöhnen menschenwürdig ein. Das ist die Aufgabe – nichts anderes“, erklärt Ostendorff. Für seine Fraktionskollegin Beate Müller-Gemmeke ist das System der Fleischbranche, das Geschäftsmoddell, „einfach nicht akzeptabel“. In dieser Branche werde per Werkvertrag Verantwortung verlagert und deshalb sei Schlachten in Deutschland so billig. Und sie zitiert den in NRW zuständigen CDU-Minister Karl-Josef Laumann: „Die Problematik liegt im System. Und für das System verantwortlich sind die Betreiber der Schlachthöfe.“ Handlungsbedarf sieht sie in fünf Bereichen: Die Beschäftigten dürfen weder am Arbeitsplatz noch in ihrer Unterkunft einem Infektionsrisiko ausgesetzt werden;. eine Generalunternehmerhaftung für den Arbeitsschutz ist einzuführen; damit sich kein Fleischkonzern mit Subunternehmen beim Arbeitsschutz aus der Verantwortung stehlen kann; Zugang zu ordentlichem und bezahlbarem Wohnraum in der Verantwortung der Schlachthöfe herstellen; effektive Kontrollen am Arbeitsplatz und in den Unterkünften durchführen; zweifelhafte Werkvertragskonstruktionen durch entsprechende Veränderungen an den Rahmenbedingungen beenden. CDU: prekärer Arbeitsbereich Von einem „prekären Arbeitsbereich“, den Bund und Länder jetzt „ordnen“ müssen, spricht der CDU-Abgeordnete Uwe Schummer. Er stellt unter anderem fest, dass die Kontrolldichte in den Unternehmen erhöht werden muss, sodass zwischen den zuständigen Stellen „ein Wettbewerb um die Kontrollmechanismen stattfindet und nicht ein Wettbewerb im Wegsehen“. Bereits im Oktober letzten Jahres habe eine Schwerpunktkontrolle in der Fleischwirtschaft in Nordrhein-Westfalen stattgefunden, „wo bei 30 Schlachthöfen mit 90 Werkvertragsfirmen und 17 000 Beschäftigten 9 000 Verstöße festgestellt wurden. Ein Drittel dieser Verstöße waren Arbeitszeitverstöße“, erklärt Schummer. Bei Schlachtbetrieben, das habe diese Kontrolle in Nordrhein-Westfalen durch den dort zuständigen Arbeitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) auch gezeigt, die mit festangestellten Arbeitnehmern und ohne Subunternehmen arbeiten, „auch die gibt es“, so Schummer, habe es keine Beanstandungen gegeben. „Bis heute keine Wirkung gezeigt“ hat für Schummer die Selbstverpflichtung der Fleischwirtschaft von 2015, zukünftig „mit weniger Subunternehmen, weniger Werkverträgen und mehr Stammbeschäftigten zu arbeiten“. Von einer „Liste der Sauereien in dieser Industrie“ spricht der Unionsabgeordnete Dr. Matthias Zimmer. „Manchmal habe ich den natürlich völlig unzutreffenden Eindruck: Die Schweine sind nicht nur die, die geschlachtet werden“, so Zimmer. Und je mehr er darüber nachdenke, desto größer werde die Versuchung, „aus diesem System – konkret: aus dem Schweinesystem – durch Verweigerung auszusteigen“. Als Gesetzgeber gehe das aber nicht. Mit Blick auf ein bereits vor Jahren verabschiedetes Gesetz zur Sicherung von Arbeitnehmerrechten in der Fleischindustrie erklärt er: „Wir sehen heute: Die Branche hat nichts verstanden. Man solle die Branche nicht unter Generalverdacht stellen, hat dieser Tage einer der Vertreter dieser Unternehmen gesagt. Ich denke aber, doch. Wir sollten die Hoffnung nicht über die Erfahrung stellen“. Zimmer sieht die Notwendigkeit, „dass wir noch einmal gesetzgeberisch tätig werden sollten“. Weil das System mit osteuropäischen Arbeitskräften, die über Werkverträge angestellt sind, „zum Himmel stinkt“, müsse es beendet werden. Arbeit in Schlachthöfen dürfe es nur noch im Rahmen einer Festanstellung geben und es müsse „erheblich dichter“ kontrolliert werden. Und er stellt die Frage, ob es nicht besser sei, regionale Strukturen zu haben und es nicht eher dem heutigen Denken entspreche, die Schnittstelle von Erzeugung und Verbrauch möglichst wohnortnah zu organisieren und nicht geografisch zu strecken. SPD: Situation nicht tolerierbar Für den Bundesminister für Arbeit und Soziales, Hubertus Heil (SPD), sind die aus den Schlachthöfen gemeldeten massenhaften Infektionen „entsetzlich, sie sind beschämend, und sie sind nicht zu tolerieren“. Er spricht von einem „Katz- und Maus-Spiel“ mit Teilen der Branche. Wenn es um neue Regelungen ging, „hat man sich an der einen oder anderen Stelle Umgehungsmöglichkeiten organisiert, und zum anderen haben wir in parlamentarischen Prozessen immer wieder erlebt – lassen Sie uns Klartext reden –, dass Interessengruppen versucht haben, klare Regeln, sagen wir mal, zu soften, zu verwässern“, so Heil, für den es in der Fleischwirtschaft neben anständigen Unternehmern „viel zu viele schwarze Schafe“ gibt. „Die Wurzel des Übels“ ist für Heil das „Subsubsubunternehmertum“, „weil Verantwortung abgewälzt wird, weil Arbeitnehmerrechte geschleift werden, weil Löhne gedrückt werden. Das führt dazu, dass wir in vielen Bereichen Probleme haben, beispielsweise wenn es darum geht, Unterkünfte zu kontrollieren. Werksunterkünfte auf dem Werksgelände kann man kontrollieren, auch noch größere andere Unterkünfte, aber wenn irgendwelche, von dubiosen Subsubsubunternehmern angemietete Privatwohnungen und Garagen – das ist übrigens ein profitables Geschäft, das auch mit krimineller Energie betrieben wird – zu kontrollieren sind, dann stößt man an gesetzliche Grenzen“, erklärt der Arbeitsminister und formuliert: „Deshalb sage ich in Frageform: Sollten wir uns nicht überlegen, wie wir mit dieser Art der sogenannten Werksvertragskonstruktion in der fleischverarbeitenden Industrie umgehen?“ Nach Ansicht des Arbeitsministers „dürfen wir als Gesellschaft nicht weiter zugucken, wie Menschen aus Mittel- und Osteuropa in dieser Gesellschaft ausgebeutet werden“ und „wir dürfen jetzt nicht bei Empörung stehen bleiben, sondern wir müssen handeln“. Für die SPD-Abgeordnete Katja Mast liegt die Verantwortung für die Situation und Infektion der Beschäftigten „als Alleralleraller-erstes“ bei den Unternehmen. Linke: Skandalöse Bedingungen Die Selbstverpflichtung der Unternehmen der Fleischbranche kritisiert auch die Abgeordnete der Linken Jutta Krellmann und bezeichnet sie als „eine echte Nullnummer“. Arbeitszeitverstöße und Lohnbetrug fänden einfach trotzdem statt. Zur Unterbringung sei in dieser Selbstverpflichtung überhaupt nichts geregelt, und genau das räche sich heute. „Mit diesen skandalösen Bedingungen muss endlich Schluss sein“, erklärt die Abgeordnete. Die Linke schließt sich laut Krellmann den Forderungen der zuständigen Gewerkschaft NGG an und hält fünf Sofortmaßnahmen für nötig: erstens das Verbot von Werkverträgen im Kernbereich der unternehmerischen Tätigkeit; zweitens Schwerpunktstaatsanwaltschaften für Arbeits- und Gesundheitsschutz; drittens klare Regeln für Unterkünfte, viertens eine Begrenzung der Unterkunftskosten und fünftens ein brancheneinheitlicher Mindestlohn. FDP: Zustände unhaltbar „Ja, diese Zustände sind unhaltbar“, erklärt der FDP-Abgeordnete Carl-Julius Cronenberg. Er hält es jedoch für falsch, „jetzt nur nach neuen Gesetzen und Verboten zu rufen“, denn er sieht kein Rechtssetzungsproblem sondern ein Rechtsdurchsetzungsproblem. Vom Bundesarbeitsminister fordert er: den Geltungsbereich für den betrieblichen Arbeitsschutz auf alle Beschäftigten in den Schlacht- und Zerlegungsbetrieben, also auch auf die Werkvertragsnehmer, zu erweitern; privat angemietete Unterkünfte für Beschäftigte den Anforderungen der Arbeitsstättenrichtlinie zu unterwerfen; eine verpflichtende digitale Zeiterfassung in der Fleischindustrie einzuführen; eine Taskforce Fleisch zu bilden und Ordnung in den Zuständigkeitswirrwarr zu bringen. AfD: Bekannte Missstände Für den Abgeordnete René Springer von der AfD ist der aktuelle Coronaausbruch in Betrieben der fleischverarbeitenden Industrie angesichts der seit Jahren bekannten Missstände „daher nur die Folge eines permanenten Versagens dieser Bundesregierung“. Und „wenn 80 Prozent der Beschäftigten in der Fleischindustrie einen Werkvertrag haben, also selbstständig sind, dann muss man sich fragen, ob dieses Instrument in dieser Branche nicht verboten gehört“.
18.05.2020
Von: FebL

Der grüne Bundestagsabgeordnete Friedrich Ostendorff in der aktuellen Stunde des Bundestages zu den Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie. Quelle: Bundestag