Agrarökonom fordert Ja zu CRISPR/Cas

Eine differenzierte Analyse ist notwendig

Nach Ansicht des Göttinger Agrarökonomen Martin Qaim ist es „unverantwortlich“, die Potenziale der „modernen Pflanzenbiotechnologien“ nicht zu nutzen. In der Öffentlichkeit würden weiter Ängste geschürt und aufgrund der „strengen Regulierung“ Anbau und Forschung verhindert, so der Wissenschaftler in einer neuen Studie vom April dieses Jahres.

Neue Erkenntnisse und eine differenzierte Auseinandersetzung gerade zur Entwicklung der neuen Gentechnikverfahren wie CRISPR, TALEN, Zink-Finger oder ODM liefert Qaim jedoch nicht. Stattdessen überträgt er Studien zur alten Gentechnik auf die neuen Techniken. Bei seinen Erläuterungen wird nicht deutlich, dass die neuen Gentechnikverfahren noch in der Forschungsphase sind, es noch wenig Erkenntnisse zu möglichen Sorten gibt und dazu, ob diese dann auch so wie gewünscht in der Umwelt und in den landwirtschaftlichen Systemen funktionieren.

Potenzielle Zuchtziele

Um die Potenziale darzustellen, breitet Qaim die Zuchtziele der Gentechnik aus. Durch die „direkte Integration oder Veränderungen von Genen und Gensequenzen“ würde die Züchtungseffizienz erhöht und es könnten Eigenschaften entwickelt werden, die früher schwierig oder unmöglich zu erreichen waren. Die unabsehbaren Folgen, die dieser erhebliche Umbau des Genoms zur Folge haben kann, führt Qaim nicht auf, obwohl es hierzu zahlreiche wissenschaftliche Studien gibt. Was er sagt, ist, dass die bislang entwickelten neuen gentechnisch veränderten (GV-)Pflanzen nur einfache Punktmutationen beinhalten. Dass dadurch aber auch nur bestimmte und wenige Eigenschaften erzielt werden können und in keinem Fall komplexere wie Ertragssteigerungen, Hitze-, Dürre- oder Salztoleranz oder gar die Domestizierung von neuen Nutzpflanzen, lässt er unerwähnt.

Nachhaltigkeitspotenziale unklar

Auch die Frage, inwieweit die Gentechnikverfahren Teil einer nachhaltigen Entwicklung sein könnten, lässt Qaim unbeantwortet. Der Grund, warum durch die alte Gentechnik erst wenige GV-Pflanzen mit nur zwei Eigenschaften erzeugt worden seien, liege vor allem an der geringen öffentlichen Akzeptanz und den komplexen Regelungsverfahren. Allerdings zeigen Länder, wie die USA oder Kanada, in denen ein großflächiger Anbau stattfindet und die Regulierung deutlich reduziert ist, dass dies viel mehr mit der Begrenztheit und dem Nicht-Funktionieren der Technik zu tun hat.

Hoffnung setzt Qaim auf den „Goldenen Reis“ und er hofft, dass dieser bald in asiatischen Ländern angebaut werde. Dieser GV-Reis enthält erhöhte Mengen an Beta-Carotin, eine Vorstufe von Vitamin A. Versprochen wird, dass der Goldene Reis den Vitamin-A-Mangel reduziert, der in einigen Regionen ein ernsthaftes Gesundheitsproblem ist und zu Sehproblemen und erhöhter Kindersterblichkeit führt. Ob der seit 20 Jahren propagierte Reis dagegen tatsächlich helfen kann, ist umstritten. Verschiedene Studien zeigen, dass der Gehalt an Provitamin A in Freisetzungsversuchen viel niedriger ist als im Labor und bei der Lagerung zudem rasch abnimmt. Wenn über die Nahrung aufgenommenes Beta-Carotin wirken soll, braucht es Fett, was in armen Regionen ggf. nicht zur Verfügung steht. Viel sinnvoller erscheint es, den Menschen eine vielfältige Ernährung zu ermöglichen, dazu bedarf es ganz anderer Maßnahmen, die vor allem die Lebensverhältnisse der Bevölkerung langfristig verbessern. Potenzial habe nach Qaim auch transgener trockentoleranter Mais, der seit Jahren in Afrika getestet würde, aber noch immer nicht zugelassen sei. Allerdings hat das südafrikanische Landwirtschaftsministerium dem trockentoleranten Mais 2019 eine Absage erteilt, weil dieser unter Wassermangel keine besseren Erträge zeige.

Schnell und billig?

Qaim übernimmt auch das Industrie-Argument, dass die neuen Verfahren vergleichsweise billig und einfach seien und deshalb auch von kleineren Laboren und Unternehmen genutzt werden könnten. Außer Acht lässt der Ökonom, dass es erhebliches Know-how, Labortechnik und entsprechend ausgebildetes Personal braucht, um den entscheidenden Ort, an dem eine gentechnische Veränderung stattfinden soll, überhaupt zu ermitteln. Selbst mittelständische Pflanzenzüchter machen dies nicht selbst, sondern legen ihre Forschungsaktivitäten und Labore zusammen. Auch die Patentproblematik spricht Qaim nicht an. Corteva (die neue Agrarsparte von DowDuPont) hat sich nach eigenen Angaben 48 Grundlagenpatente gesichert, die notwendig seien, um eine Variante von CRISPR – nämlich Cas9 – nutzen zu können. Wenn Unternehmen also CRISPR/Cas9 nutzen wollen, müssen sie Lizenzen kaufen und unterliegen der Berichts- und Schweigepflicht. Dies widerspricht der „einfachen“ Nutzung. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass die neuen Gentechnikverfahren zu einer neuen Patentierungswelle führen werden. Federführend sind die großen Konzerne oder mit diesen kooperierende Start-ups. Dadurch wird der Zugang zu genetischen Ressourcen weiter erschwert, ein großes Problem für kleine und mittlere Züchter*innen, Bäuerinnen und Bauern. Qaim führt zwar an, dass „effiziente Formen des Schutzes des geistigen Eigentums noch entwickelt werden müssen, die ein angemessenes Gleichgewicht zwischen Forschungsanreizen, Handlungsfreiheit und sozialen Vorteilen herstellen“ – wie das aber gehen soll, bleibt offen.

Keine Risiken?

Qaims Auseinandersetzung mit Risiken greift viel zu kurz. Seiner Meinung nach legen 30 Jahre Risikoforschung bei den alten GVO-Pflanzen nahe, dass es keine neuen Risiken im Zusammenhang mit den Gentechnikverfahren gebe.

Dieses Herangehen ist wissenschaftlich fraglich und ignoriert zahlreiche wissenschaftliche Studien, die Risiken durch die verwendeten Gentechnikverfahren aufzeigen, sowohl bei den alten als auch bei den neuen Gentechniken. Hinzu kommt, dass die neuen Verfahren – gerade durch den direkten Eingriff ins Genom – andere und sehr viel weitergehende Veränderungen ermöglichen, weshalb Wissenschaftler*innen und Organisationen wie ENSSER für eine Risikoprüfung und Regulierung der Techniken plädieren.

Vorsorge erforderlich

GV-Pflanzen sind in Europa nicht verboten, sondern unterliegen Regelungen: Sie müssen eine verpflichtende Risikoprüfung und ein Zulassungsverfahren durchlaufen. Sind sie für Anbau oder Inverkehrbringen zugelassen, unterliegen sie einer Kennzeichnungspflicht, der Inverkehrbringer muss ein Nachweisverfahren liefern, was eine Rückverfolgbarkeit und ein Monitoring ermöglicht. Nur so besteht die Möglichkeit, sie bei Gefahr wieder aus der Lebensmittelkette und der Umwelt zu entfernen. Die öffentliche Debatte, die zu Recht gefordert wird, kann nur geführt werden, wenn eine unabhängige wissenschaftliche Risikoforschung und Bewertung erfolgt, die nicht von den materiellen Interessen großer Züchtungskonzerne oder der Forschenden getrieben ist. Nur durch eine Regulierung und Kennzeichnung haben alle Wirtschaftsbeteiligten – von der Saatgutzüchtung, der Landwirtschaft oder dem Gartenbau, den Verarbeitungs- und Handelsunternehmen bis zum Verbraucher – Wahlfreiheit. Und nur so kann die gentechnikfreie Lebensmittelerzeugung – ein großer Wettbewerbsvorteil Europas – gesichert werden.

Artikel aus der Unabhängigen Bauernstimme (Juni 2020), Annemarie Volling, Gentechnik-Expertin der AbL. Zum Link_hier.

 

05.06.2020
Von: Von: Annemarie Volling, Unabhängige Bauernstimme (6/2020)