Gentechnikfreiheit sichert wirtschaftliche Vorteile und Verbraucherschutz

Anlässlich des zweiten Jahrestags des Urteils des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zu den neuen Gentechnik-Verfahren und eines Gastkommentars von Bundeslandwirtschaftsministerin Klöckner im Tagesspiegel fordern die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) und auch der Verband Lebensmittel ohne Gentechnik (VLOG) die Ministerin auf, die EU-Ratspräsidentschaft für eine konsequente Umsetzung des EuGH-Urteils zu nutzen und die neuen Gentechnik-Verfahren klar als Gentechnik zu regulieren. „Das EuGH-Urteil vom 25. Juli 2018 hat klargestellt, dass neue Gentechnik-Verfahren als Gentechnik einzustufen und zu regulieren sind. Damit hat es Rechtsklarheit für alle Wirtschaftsbeteiligten geschaffen. Die EU und die Bundesregierung müssen das EuGH-Urteil endlich ernst nehmen und die gentechnikfreie Landwirtschaft und Lebensmittelerzeugung sicherstellen. In Europa werden aktuell bis auf einige Regionen in Spanien keine Gentechnik-Pflanzen angebaut. Das ist ein großer wirtschaftlicher Vorteil für europäische Bäuerinnen und Bauern, weil sie das anbauen und vermarkten können, was Verbraucher*innen mehrheitlich wollen - und was der europäische, asiatische und zunehmend auch der US-Markt verlangt: gentechnikfreie Ware! Wir wären schlecht beraten, diese Gentechnikfreiheit aufzugeben. Bundesministerin Klöckner sollte diesen Wirtschaftsvorteil schützen, statt wie jüngst erneut einer Deregulierung der neuen Gentechnik-Verfahren das Wort zu reden“, erklärt Annemarie Volling, Gentechnik-Expertin der AbL. Für den VLOG-Geschäftsführer Alexander Hissting war und ist das EuGH-Urteil vom 25. Juli 2018 „ein wichtiger Meilenstein für Europas Verbraucher, Landwirte und die Lebensmittelwirtschaft, insbesondere für die stark wachsenden Bio-und ‚Ohne Gentechnik‘-Sektoren“. Die laufende Studie der EU-Kommission zum Urteil dürfe nicht dazu missbraucht werden, die Regeln aufzuweichen. „Ziel muss vielmehr die konsequente Umsetzung des Urteils sein – und damit mehr Verbraucherschutz statt mehr Gentechnik“, so Hissting. Eine „Schlüsselrolle“ kommt dabei seiner Ansicht nach der Bundeslandwirtschaftsministerin Klöckner zu. Die hatte sich in einem Gastkommentar des Tagesspiegel jedoch ganz anders geäußert. „Wir können es uns nicht leisten, die neuen Techniken links liegen zu lassen“, schrieb sie dort. Sie erhofft sich „Zeiteinsparungen von 6 bis 50 Jahren“ im Züchtungsprozess und erwartet, dass „genomeditierte hitze- und trockentolerante Sorten“ einen Beitrag leisten könnten, „den Hunger in der Welt zu beenden“. Dem widerspricht Volling: „Ob die neuen Gentechnikverfahren diese großen Versprechen jemals einhalten können, ist mehr als fraglich. Bislang können die neuen Techniken Gene ein- und ausschalten. Damit können so komplexe Veränderungen wie Ertragserhöhung oder Trockentoleranz nicht erreicht werden. Vielversprechender ist es, die konventionelle und ökologische Züchtung massiv zu unterstützen, die schon jetzt an trockentoleranteren Sorten arbeiten. Zudem ist lange bekannt, dass Hunger nicht mit einer Technik behoben werden kann, sondern es dafür in den Regionen Zugang zu Land, zu Wasser, zu Bildung und zu nachbaubarem Saatgut braucht“. Die AbL fordert Bundesministerin Klöckner auf, in der laufenden Ratspräsidentschaft die neuen Gen­technik-Verfahren klar als Gentechnik zu regulieren. „Regulieren heißt nicht verbieten, sondern die neuen Techniken sind einer Risikoprüfung, einem Zulassungsverfahren sowie einer Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit zu unterziehen. Nur so wird die Wahlfreiheit für alle sichergestellt, gibt es Rechtssicherheit und Bäuerinnen und Bauern können im Schadensfall die Konzerne zur Verantwortung ziehen“, so Volling. Für Alexander Hisstig ist es auch gerade mit Blick auf die „Ohne-Gentechnik“-Kennzeichnung wichtig, dass es keine Deregulierung gibt, wie sie von der Biotechnologie-Lobby und manchen Politikern gefordert werde. „Wenn die Regeln ausgehöhlt würden und es Ausnahmen und Schlupflöcher gäbe, wäre ‚Ohne Gentechnik‘ akut in Gefahr. Wer den Verbrauchern unregulierte und damit ungekennzeichnete, nicht identifizierbare Gentechnik-Lebens-mittel auftischt, zerstört Vertrauen in Politik, Lebensmittelwirtschaft und Handel“, so Hissting. Der ‚Ohne Gentechnik‘-Sektor ist in Deutschland besonders stark –und Klöckners eigenes Ministerium ist Inhaber des ‚Ohne GenTechnik‘-Siegels, dessen Markennutzungsrechte es an den VLOG übertragen hat. „Zwei Jahre nach dem EuGH-Richterspruch brauchen wir vor allem endlich zuverlässige Nachweisverfahren für neue Gentechnik-Verfahren und deren konsequente Anwendung. Dafür sollte Julia Klöckner sich einsetzen. Verbraucher legen viel Wert auf Transparenz. Sie wollen wissen, wie ihre Lebensmittel hergestellt werden. Mehrheitlich wollen sie die ‚Ohne Gentechnik‘-Kennzeichnung, das bestätigen Umfragen immer wieder. Auch der stetig wachsende ‚Ohne Gentechnik‘-Umsatz belegt den Trend: 2019 gaben deutsche Verbraucher über 11 Milliarden Euro für Produkte mit dem ‚Ohne GenTechnik‘-Siegel des Verbandes Lebensmittel Ohne Gentechnik (VLOG) aus. In immer mehr Staaten Europas gibt es inzwischen entsprechende Kennzeichnungsmöglichkeiten. Die Verbraucher unterschieden dabei genauso wenig wie die EuGH-Richter zwischen ‚alter‘ und ‚neuer‘ Gentechnik und lassen sich auch durch immer wieder verwendete Tarnbegriffe wie ‚Genome Editing‘ nicht in die Irre führen“, erklärt der VLOG-Geschäftsführer. Mehr Transparenz und zwar im Entscheidungsverfahren fordert auch die AbL von der Ministerin. Konkret geht es um die Forderung, die Stellungnahme, die das Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) im Rahmen der von der EU-Kommission begonnenen Studie zum Status neuartiger gemomischer Verfahren in Brüssel eingereicht hatte, zu veröffentlichen. Die AbL hatte dazu einen Antrag auf Umweltinformation gestellt, der vom BMEL abgelehnt wurde. „Bäuerinnen und Bauern und die Gesellschaft wollen bei der wichtigen Frage der Lebensmittelerzeugung Transparenz und demokratische Mitsprache“, unterstreicht Volling.