Züchterische Unabhängigkeit bewahren

CRISPR/Cas ist aktuell ein großer Hype bei Forschern und Gentechnikkonzernen. Die „Gen-Schere“ sei einfach, billig und präzise und eigentlich nur eine Weiterführung der konventionellen Pflanzenzüchtung, so die Behauptung. Wie sehen das Züchter*innen, die an Alternativen arbeiten? Dazu ein Interview mit dem Getreidezüchter Carl Vollenweider vom Dottenfelderhof und Eva Gelinsky von der IG Saatgut.   Unabhängige Bauernstimme: Herr Vollenweider (CV), Frau Gelinsky (EG), wie funktioniert CRISPR/Cas? CV: Man kann sich CRISPR/Cas als „Gen-Schere“ vorstellen, bestehend aus einem Cas-Enzym (dem eigentlichen „Schneidewerkzeug“) und dem „Zielfinder“, der Leit-RNA. Die Genschere CRISPR/Cas gleitet entlang der DNA und das Cas-Enzym schneidet an den Stellen, die (mehr oder weniger) zur Leit-RNA passen. Durch die Schnitte kommt es zu einem Doppelstrangbruch, d. h. einem massiven Eingriff in die Zelle. Die Zelle versucht den Doppelstrangbruch mit ihren natürlichen Reparatursystemen zu reparieren. Je nach Variante von CRISPR/Cas hofft man jetzt entweder auf Fehler bei der Reparatur, die zu einer Mutation führen. Oder man gibt dem Cas-Enzym ein DNA-Stück als Reparaturvorlage mit, welche – wenn alles gut geht – an der Stelle des Bruchs eingebaut wird. EG: Mit CRISPR/Cas können auf diese Weise einzelne Basenpaare hinzugefügt oder entfernt werden. Gene können dadurch stillgelegt, verändert oder in ihrer Wirkung verstärkt werden. Möglich sind auch kompliziertere Veränderungen an mehreren Stellen im Erbgut. Zudem kann CRISPR/Cas mehrfach hintereinander oder in Kombination mit anderen gentechnischen Verfahren angewandt werden. Damit sind sehr viel weiter gehende Veränderungen möglich als bei der alten Gentechnik. Was ist neu an der Technik? Warum der Hype? CV: Das Besondere an CRISPR/Cas ist, dass nicht für jede Stelle der DNA, die man bearbeiten möchte, ein spezifisches neues Schneidewerkzeug hergestellt werden muss, wie dies bei älteren Genome-Editing-Verfahren wie den Zinkfingernukleasen oder TALEN notwendig war. Bei CRISPR/Cas genügt es, jeweils die passende Leit-RNA zu synthetisieren. Das eigentliche Schneidewerkzeug (das Cas-Enzym) ist dasselbe. Deshalb ist CRISPR/Cas kostengünstiger und einfacher in der Handhabung als ältere Genome-Editing-Verfahren. Und ist CRISPR/Cas wirklich so präzise? CV: Auffällig ist, dass neue Verfahren der Gentechnik von den Vertretern der Branche zunächst immer total gehypt werden und plötzlich alles möglich zu sein scheint. Bis dann eine neue Technik entwickelt wird, die Mängel und Beschränkungen der bisherigen Verfahren beheben können soll. Von diesen Mängeln war bis dahin natürlich nie die Rede. So wurden Varianten von CRISPR/Cas entwickelt, die weniger unbeabsichtigte „Off-target-Mutationen“ auslösen sollen. Ist CRISPR/Cas vielleicht doch nicht so präzise? An dieser Stelle möchte ich aber vor allem darauf hinweisen, dass präzise keinesfalls mit sicher gleichgesetzt werden kann. Warum nicht? EG: Wenn überhaupt, ist CRISPR/Cas nur auf der Ebene der DNA präzise. Die Vorstellung, mit den neuen Gentechnikverfahren könnten ganz gezielt bestimmte Funktionen erzeugt, ausgeschaltet oder in Gang gesetzt werden, beruht auf unzulässigen Vereinfachungen. Eine Pflanze ist kein statisches Produkt, sondern ein komplexer Organismus, der in ständiger Wech­selwirkung mit einer sich ändernden Umwelt steht. Die meisten intensiv erforschten Gene erfüllen z. B. mehrere Funktionen in unterschiedlichen Geweben oder zu unterschiedlichen Entwicklungszeitpunkten des Organismus. Auch mit den neuen Verfahren wird das Pflanzengenom immer noch wie ein „Baukastensystem“ behandelt, in dem man beliebig „herumschrauben“ kann. Eingriffe ins Genom können jedoch sehr weitreichende Folgen haben. Ohne jegliche Risikoprüfung zu behaupten, die Pflanzen seien sicher, ist wissenschaftlich unseriös. Gerne wird behauptet, dass die neuen Gentechnikverfahren nur eine Fortführung der konventionellen Pflanzenzüchtung seien, was sagen Sie als Züchter dazu?  CV: Züchtung ist weit mehr ist als die Anwendung einer Technik im Labor! Zur Arbeit der Züchter*innen gehören vor allem auch die Beurteilung der Bestände im Feld und umfangreiche Prüfungen neuer Zuchtstämme. Gemäß dem Ideal der bio-dynamischen und ökologischen Züchtung erfolgt unsere Züchtungsarbeit auf dem Dottenfelderhof „on farm“ unter Praxisbedingungen. Einen hohen Stellenwert räumen wir der ganzheitlichen Beurteilung der Pflanzen in ihrer natürlichen Umwelt ein. Die Züchter*in tritt mit der Pflanze in einen Dialog, der über viele Jahre aufrechterhalten wird. Aber selbst wenn man nur den allerersten Züchtungsschritt betrachtet, die Erzeugung der genetischen Vielfalt, aus welcher anschließend selektiert wird, verfolgt die Gentechnik einen völlig anderen Ansatz als die klassische Kreuzungszüchtung. Mit Gentechnik sollen Punktmutationen ausgelöst und isolierte Gene mit „bekannter“ Funktionsweise ins Erbgut eingefügt werden. Die Kreuzungszüchtung versucht, wertvolle Eigenschaften von Mutter- und Vaterpflanzen zu kombinieren. Dadurch erfolgt die Anhäufung wertvoller Genkombinationen. Hier sind oft viele Gene beteiligt, die oft zu komplex sind, als dass wir ihre Funktionsweise auf molekulargenetischer Ebene verstehen würden. Wie sehen Sie das Potential, mittels CRISPR trockentolerante und klimaanpassungsfähige Pflanzen erzeugen zu können? CV: Agro- und Gentechnikunternehmen haben zahlreiche Patente auf „Klimagene“ angemeldet, welche die Anpassung von Pflanzen an Auswirkungen des Klimawandels ermöglichen sollen. Allerdings sind Hitze-, Trockenheits- und allgemeine Stresstoleranz sowie eine hohe Adaptionsfähigkeit an Umwelt- und Witterungsbedingungen Eigenschaften von Pflanzen, an deren Ausprägung viele Gene beteiligt sind. Für die Optimierung solch komplexer Merkmale halte ich die klassische Kreuzungszüchtung nach wie vor geeigneter als gentechnische Methoden. Ergänzt werden könnte die Kreuzungszüchtung durch Strategien der dynamischen Anpassung genetischer Ressourcen „on farm“, in Zusammenarbeit mit Bäuerinnen und Bauern. Sogenannte Populationen oder Evolutionsramsche, die aus einer breiten Vielfalt von Pflanzen mit unterschiedlichen Eigenschaften bestehen, könnten eher in der Lage sein, eine hohe Ertragsstabilität bei sich rasch ändernden Umwelt- und Witterungsbedingungen zu erzielen als mit CRISPR/Cas veränderte homogene Hybrid- und Liniensorten. Befürworter argumentieren, dass die CRISPR/Cas-Technik so einfach und billig ist, dass auch kleine und mittelgroße Züchtungsunternehmen endlich damit arbeiten können. EG: Das Argument, CRISPR/Cas sei eine „demokratische“ Technik, ist wenig plausibel, da große Konzerne eine ganz andere Ausgangsposition am Markt haben. Sie beherrschen Teile der Wertschöpfungs­kette, verfügen über Labore und Kapital für Forschung und Entwicklung. Die  Agrokonzerne haben sich bereits (teils exklusive) Lizenzen zur Nutzung der neuen Verfahren gesichert. Kostenlos ist CRISPR/Cas nicht zu haben; sobald es um die Entwicklung von Produkten geht, die kommerzialisiert werden sollen, müssen entsprechende Lizenzen von Patent­inhabern erworben werden. Die großen Konzerne werden also dank CRISPR & Co ihre marktbeherrschende Stellung weiter ausbauen und durch Patente absichern. Die Kleinen haben dagegen das Nachsehen. CV: Oft wird, wenn CRISPR/Cas als die Technik für die Kleinen angepriesen wird, unterschlagen, dass vielleicht die Durchführung der eigentlichen gentechnischen Veränderungen relativ kostengünstig ist, aber für eine erfolgreiche Anwendung des Verfahrens ist natürlich auch das Wissen notwendig, welche Veränderung überhaupt ausgeführt werden soll. Kleine Züchtungsunternehmen arbeiten jedoch selten mit molekulargenetischen Methoden. Sie verfügen weder über das hierzu notwendige Know-how noch über die zeitlichen und finanziellen Ressourcen. Selbst wenn die Züchter das Wissen bei anderen Unternehmen einkaufen könnten, würde dies für sie einen erheblichen Verlust an Eigenständigkeit und Unabhängigkeit bedeuten. Für mich besteht der Reiz von Züchtungsarbeit aber gerade darin, relativ unabhängig zu sein und selber entscheiden zu können, was ich tue. Zum Artikel in der Bauernstimme_hier.
26.04.2018
Von: Interview der Unabhängigen Bauernstimme mit Eva Gelinsky und Carl Vollenweider