German Angst ums Öko-Recht

Das Ringen um die neue EU-Öko-Verordnung bleibt kontrovers

Ob, was lange währt, endlich gut wird, muss sich beim Thema EU-Ökoverordnung erst noch zeigen. Dass es allerdings länger dauert als jemals zuvor, die Regeln für den Ökolandbau in Europa zu überarbeiten, das ist jetzt schon sicher und macht es für alle Beteiligten nicht gerade einfacher. Offensichtlich wird daran, dass es nach wie vor scheinbar schier unüberwindbare Gräben nicht nur zwischen den politischen Institutionen, sondern auch zwischen den Verbandsvertretern und den politischen Institutionen und sogar auch innerhalb der Bioszene gibt. Nachdem die EU-Kommission schon 2014 noch unter dem rumänischen Agrarkommissar Dacian Ciolos mit einem Entwurf in Vorlage gegangen war, hatten EU-Rat und -Parlament zahlreiche Änderungsanträge. Derzeit stecken die drei Parteien im Trilog mehr oder weniger fest, so wirken Berichte aus Brüssel. Eigentlich sollte im Juni ein Abschluss gefunden werden, das scheint in weitere Ferne gerückt. Nach wie vor den schärfsten Konflikt gibt es um die von der EU-Kommission gewünschte Einführung von Pestizidgrenzwerten, auf die sie Ökoprodukte zukünftig verpflichtend untersuchen lassen möchte. Bei einer festgestellten Überschreitung dürfte das Produkt nicht mehr als Ökoware vermarktet werden. Schon von Anfang an hatte sich die gesamte deutsche Biobranche sehr scharf gegen die Einführung dieses Instrumentes gewehrt und damit im europäischen Dachverband des Ökologischen Landbaus, IFOAM-EU, ebenso überzeugt wie bei Politikvertretern und beim Deutschen Bauernverband. Die zentrale Begründung ist die Sorge vor einem Dammbruch. Die Einführung einer Produktkontrolle führe dazu, dass das bisherige System mit der Prozesskontrolle auf den Kopf gestellt würde und am Ende jedes Produkt als Bio vermarktet werden könne, das keine Rückstände von Pestiziden aufweise, so die Angst, die immer wieder formuliert wird. Und Rückstandsfrei könnten auch die Konventionellen bei entsprechendem Spritzmanagement. Im Vorschlag der EU-Kommission kommt die Prozesskontrolle nach wie vor vor, allerdings – und das ist ein weiterer Faktor, der für ablehnende Furcht in der Branche sorgt – soll sie in die Zuständigkeit der Lebensmittelüberwachung verlagert werden. „Man könnte da eben so etwas wie einen politischen Trend ablesen“, formuliert Antje Kölling von Demeter in Berlin vorsichtig. Auch Tanja Barbian, die Rechtsexpertin vom Bundesverband Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW), ist misstrauisch: Die Kommission messe der Produktkontrolle so eine große Bedeutung bei und wolle diese auch noch in die Lebensmittelkontrolle verlagern, deren klassisches Geschäft ja Rückstandsuntersuchungen seien, da müsse man um die Idee des Ökolandbaus, ein ganzes System zu kontrollieren und zu zertifizieren, fürchten. Die Ökobauern müssten nicht nur finanziell ausbaden, was die konventionellen Nachbarn ihnen einbrockten, so die Befürchtungen. Woanders ganz anders Woanders in Europa gibt es offenbar mehr Vertrauen, dass auch ein kombiniertes System aus Prozess- und Produktkontrolle möglich sein kann. In Belgien und Italien existiert es aufgrund entsprechender nationaler Gesetzgebung bereits seit den neunziger Jahren. „Untersuchungen auf Pestizide in Ökolebensmitteln sind ein zusätzliches Instrument der Betrugsvorsorge“, sagt Andrea Ferrante, langjähriger Vorstand des italienischen Ökolandbau-Dachverbandes. Außerdem sei es längst eine Realität des Marktes, da im Prinzip alle großen Vermarkter und Handelsketten solche Untersuchungen durchführten. Das ist auch in Deutschland so, bestätigen Ökolandbauvertreter und dass die Kosten längst auf die Bauern und Bäuerinnen umgelegt werden, daran zweifelt auch bei uns niemand. Erwähnt man allerdings Italien, erntet man rollende Augen, schließlich seien die Produktkontrollen dort eingeführt worden, weil immer so viel betrogen wurde und wird. Dass die „Azzurri“ mit ihrer Sympathie für ihr System nun als europäische Gralshüter strengerer Ökoregeln daherkommen, ist skurril. Ferrante schmunzelt darüber, auch über die Sorge, Ökolandbau in kleinräumigen Gebieten würde aufgrund der spritzenden konventionellen Nachbarn unmöglich. Ökolandbau gehe in Südtirol ja auch, so sein Konter. Überhaupt sei der landwirtschaftliche Anbau, Streit mit den konventionellen Nachbarn, kontaminierte Produkte, kaum ein Problem, stattdessen seien es hauptsächlich Verunreinigungen – ob nun unabsichtlich oder aus Betrugsgründen – im weiteren Handels-, Verarbeitungs- und Vermarktungsprozess. Die großen Skandale der Vergangenheit fanden fast immer in diesen Bereichen statt. Diese Erfahrung deckt sich mit den belgischen, wie die Öko-Interessenvertretung Nature et Progrès auf ihrer Homepage schreibt. Sie ruft dort dazu auf, eine Petition zu unterschreiben, die die EU-Verantwortlichen bittet, sich für eine obligatorische Produktkontrolle in Ökoprodukten in der neuen EU-Ökoverordnung einzusetzen. Die langjährigen Erfahrungen in Belgien seien positiv. Allerdings verlangen die Interessenvertreter einen Kompensationsfonds, aus dem Bauern und Bäuerinnen eventuelle Schäden durch Warenaberkennungen unkompliziert ausgeglichen bekommen. Damit würde man ihnen die Last nehmen, eine gerade bei modernen, fernabdriftenden Pestiziden fast unmögliche Beweisführung gegen ihre konventionellen Nachbarn hinlegen zu müssen. Außerdem bleibt ja richtig, dass nicht derjenige, der den Schaden hat, auch noch Nerven, Zeit und Geld investieren müssen sollte. Ansätze für eine Einführung eines Verursacherprinzips oder Kompensationsmöglichkeiten hatte die EU-Kommission schon in ihrem Vorschlag. Kontrolle, wie? In Belgien fürchten Ökolandbauvertreter den Verlust der Glaubwürdigkeit bei den Verbrauchern, wenn ihre neben der Prozesskontrolle etablierte Produktkontrolle durch ein neues EU-Recht kassiert würde. In Deutschland fürchten Ökolandbauvertreter den Verlust des ganzen Systems Ökolandbau, wenn die Prozesskontrolle durch die Einführung der Produktkontrolle in einem Zukunftsszenario kassiert würde. In Italien sagt Andrea Ferrante: „Der Ökolandbau ist eine kleine Nische mit einem Markt, der rasant wächst und sich wandelt, weil zunehmend auch große konventionelle Player ein wirtschaftliches Interesse haben. Das muss man unter Kontrolle behalten.“
02.06.2016
Von: cs