Aus Anlass der von der EU-Kommission vorgeschlagenen möglichen Neuregulierung von Pflanzen und deren Produkten, die mit bestimmten neuen Gentechnik-Verfahren (NGT) hergestellt wurden, veranstaltete das Bundesumweltministerium Mitte Juni eine High-Level-Konferenz in Brüssel. Diskutiert wurden Eckpfeiler der Gentechnik-Regulierung mit Wissenschaftler:innen, Stakeholdern, der Europäischen Kommission und Mitgliedern des Europäischen Parlaments.
Kein Bedarf für eine Neuregulierung
Gleich zu Anfang machte Bundesumweltministerin Steffi Lemke klar, dass sie „keinen Bedarf für eine Neuregulierung“ sehe. Käme es doch zu einer Neuregulierung bestimmter neuer Gentechniken, seien ihr zwei Punkte wichtig: Vor einer Freisetzung in die Natur müsse eine Risikobewertung zwingend gewährleistet sein. Potenzielle Risiken – nicht nur in der Pflanze, sondern auch für Ökosysteme und Biodiversität – müssten vorher genau untersucht, definiert und bewertet werden. Zudem müsse es weiterhin eine zwingende Kennzeichnung der Produkte als neue Gentechnik geben. Die Wahlfreiheit müsse wirklich gewahrt bleiben - für die ökologische Landwirtschaft, genauso wie für die gentechnikfreie Lebensmittel- und Kosmetikindustrie.
Nachhaltigkeit ist ein ganzheitlicher Ansatz
Bezugnehmend auf den kontrovers diskutierten Vorschlag der Kommission, in der künftigen Regelung auch eine Nachhaltigkeitsbewertung einzuführen, machte Lemke klar, dass Nachhaltigkeit ein ganzheitlicher Ansatz sei. Produkte seien dann nachhaltig, wenn sie einem Gesamtsystem nutzen, und zwar auf Dauer. Um die Nachhaltigkeit von alten oder neuen Gentechnik-Pflanzen zu beurteilen, müsse die gesamte Pflanze betrachtet werden, ihr Anbausystem, die Auswirkungen auf Bodengesundheit, Wasserhaushalt und angrenzende Ökosysteme, die Verfügbarkeit von Saatgut für Landwirte und die Konsequenzen für die ökologische Landwirtschaft und verwandte Branchen. Das gelte auch für Import-Produkte. „Ob die neuen Gentechniken einer solchen ganzheitlichen Betrachtung standhalten, ist bislang weder wissenschaftlich noch in der Praxis belegt,“ kommentierte Lemke. Ein etwaiger Nachhaltigkeitsnachweis für NGT-Pflanzen müsse all diese Kriterien betrachten, ansonsten sehe sie ein hohes Risiko für Greenwashing. Zudem betonte sie, dass ein Grundpfeiler der Nachhaltigkeit, der Umwelt- und Gesundheitspolitik das Vorsorgeprinzip sei. Das sei nicht verhandelbar.
Hohes Maß an Sicherheit
Ein Update zu den Kommissionsplänen gab Klaus Berend, stellvertretender Direktor für Lebens- und Futtermittelsicherheit der EU-Kommission. Nach seiner Auffassung strebe die Kommission keine Deregulierung an. Es solle ein „maßgeschneiderter Rechtsrahmen" entwickelt werden. Ein hohes Maß an Sicherheit solle mit einem klaren Mehrwert für die Gesellschaft und die Umwelt verbunden werden. Offen blieb weiterhin, wie sich das die Kommission genau vorstellt. Bei der Risikobewertung würden sie nach Möglichkeiten suchen, geeignete Elemente zu definieren, um von Fall zu Fall die Art und den Umfang der für die Risikobewertung dieser Produkte erforderlichen Daten zu bewerten. Zudem würden sie nach einem System suchen, das die Nachhaltigkeit fördert. Optionen seien Anreize oder die Definition von Anforderungen hinsichtlich der Merkmale, die für die Nachhaltigkeit am wichtigsten sind. Es sei auch möglich, im Rechtsrahmen klarzustellen, das bspw. Herbizidtoleranz keine erwünschte Eigenschaft ist, und dass diese nicht erlaubt werde. Daran wird deutlich, dass die Kommission wohl eher einzelne Merkmale als nachhaltig einstufen wird – statt der geforderten ganzheitlichen Betrachtung. Berend betonte, dass die Kommission das EuGH Urteil zur Gentechnik voll respektieren werde. Es gäbe keinen Zweifel, dass neue Gentechniken unter die Gentechnik-Regulierung fallen. Die Frage sei nur, ob sie anders reguliert werden sollten. Auf Nachfrage der Europaabgeordneten Maria Noichl, zu Patenten und Haftungsregelungen, sagte Behrend, dass dies wichtige Aspekte seien. Die Patentfrage sei aber über die Gentechnik-Regulierung nicht zu lösen. Die Frage der Haftung könnte sicherlich adressiert werden, das würde er mitnehmen.
Weiterhin Risiken
Die Wissenschaftlerin Prof. Sarah Zanon Agapito vom NORCE-Institut aus Norwegen zeigte, dass auch die neuen Gentechnik-Verfahren Risiken bergen. Die Gefahr sei recht hoch, dass nicht nur die gewollten Sequenzen im Genom verändert werden, sondern auch andere nicht gewollte Sequenzen. Deshalb bleibe die Risikohypothese auch für die neuen Techniken gültig. Bei solchen Organismen sei zu prüfen: Haben andere Gene ihre Sequenzen verändert? Was sind die Auswirkungen auf die Gennetzwerke? Hat die Pflanze ihren Stoffwechsel verändert? Bringt sie einen neuen Phänotyp hervor? Erhöht sich die Fitness der Pflanze? Bei sexuell vergleichbaren Arten könne es zu einem Genfluss kommen. Hat dies Auswirkungen auf wildlebende Arten? Sie wies auch darauf hin, dass ein Großteil der CRISPR-Anwendungen im Labor die alten Gentechnik-Verfahren nutze, um CRISPR in die Zelle zu bringen. Es seien also ebenso Transgene mit den Risiken dieser alten Gentechnik-Verfahren.
Der unter anderem von der EU-Kommission angeführten Nachweisproblematik widerspricht sie. In ihrem Projekt verfolgen sie den Ansatz, mehrere Analysemethoden einzusetzen. Der Schlüssel liege darin, nicht nur nach einem einzigen Marker zu suchen, wie es bei älteren gentechnisch veränderten Organismen (GVO) der Fall ist, sondern auch in anderen Teilen des Genoms nach anderen spezifischen Sequenzen zu suchen, die einen bestimmtes GVO kennzeichnen. Gentechnik-Produkte könnten einzigartige „Fingerabdrücke" haben, die einen Nachweis ermöglichen. Ihr Projekt habe dazu einen Matrix-Ansatz entwickelt, durch den man für die jeweiligen Produkte die besten Analysemethoden zusammenstellen kann.
Ungeprüfte GVO in der Natur?
Im Anschluss stellten verschiedene Stakeholder ihre Perspektiven dar. Mute Schimpf von Friends of the Earth Europe warf der Kommission vor, sie würde die potenziellen Vorteile dieser Pflanzen überbetonen – gleichzeitig aber die Risiken herunter spielen. Pflanzen, die zu einem nachhaltigen Lebensmittelsystem beitragen sollen, gäbe es noch nicht bzw. sie befänden sich höchstens im Forschungsstadium. Wie aber solle man die Nachhaltigkeit von etwas beurteilen, das noch gar nicht existiert? Parallel gäbe es die Tendenz, Beweise für die Risiken neuer GVOs für die Natur zu verleugnen. Käme es zu einer “angepassten Regulierung” bestehe die Gefahr, dass wir mit ungeprüften GVO-Pflanzen in der Natur konfrontiert würden. Statt einer Aufweichung müsse die Risikobewertung anpasst und verbessert werden.
Biotechnologie vergisst die Umwelt
Marion Blom von IFOAM verwies darauf, dass eine Pflanze immer die Antwort auf ihre sich ständig verändernde Umwelt sei. Die Biotechnologie schaue auf das Gen und vergesse die Umwelt. Für Bäuer:innen stehe viel auf dem Spiel, es gehe auch um den Verlust ihrer Märkte. Der Wunsch der Verbraucher:innen, gentechnikfreie Produkte zu kaufen, müsse ernst genommen werden und die Erzeugerkette sei gentechnikfreie zu halten.
Uneingeschränkte Wahlfreiheit
Aus Verbrauchersicht sei die Gewährleistung der uneingeschränkte Wahlfreiheit entlang der gesamten Lebensmittelkette zentral, betonte Isabell Buscke, vom Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv). Dies erfordere eine eindeutige Kennzeichnung von GVO. Entscheidend sei auch das Vorsorgeprinzip zu achten, GVOs müssten vor der Marktzulassung umfassend auf Risiken für die menschliche Gesundheit und die Umwelt geprüft werden.
Auf der Konferenz wurden viele Argumente genannt, die verdeutlichen, dass alle neuen Gentechnik-Pflanzen einer verpflichtenden Risikoprüfung, Zulassung und Kennzeichnung unterliegen müssen, genauso wie der Haftung durch die Verursacher:innen. Ein Nachweis sei machbar und darf kein Grund sein, neue Genrtechniken aus der Regulierung auszunehmen. Sollte ein Nachheitigkeitsnachweis eingeführt werden, bräuchte es ganzheitliche Ansätze und eine separate Prüfung. Die Sicherheit – gerade auch nachhaltiger Produkte – und die Wahrung des Vorsorgeprinzips muss Grundpfeiler bleiben.