Erster wichtiger Etappensieg

Keine Einigung der EU-Minister auf Gentechnik-Deregulierung – Erfolg für die gentechnikfreie Landwirtschaft

Eigentlich hatte die EU-Ratspräsidentschaft vor, am 11. Dezember den Gesetzesentwurf zur Deregulierung der neuen Gentechnik (NGT)-Pflanzen im Eiltempo durchzusetzen und eine Positionierung des Ministerrates zu erwirken. Nach kontroverser Aussprache vertagte die  spanische Ratspräsidentschaft die Abstimmung. Man sei aber „nah dran“ und Spanien werde die Zeit bis Ende des Jahres nutzen, noch weitere Kompromissvorschläge zu machen Grundlage ist der im Juli 2023 von der EU-Kommission vorgelegte Gesetzestext. Sowohl die Ratspräsidentschaft als auch die konservative Fraktion der EVP im Parlament machen erheblichen Druck und wollen, dass dieser vor allen den Interessen der Gentechnik-Industrie folgende Gesetzesvorschlag noch vor den Europawahlen angenommen wird.

Unzureichende Vorschläge

Doch der Druck hinter den Kulissen ohne Beteiligung der Öffentlichkeit zu dealen und gleichzeitig die geringe Bereitschaft Spaniens bzw. der EU-Kommission, den Gesetzesvorschlag wirkungsvoll zu verbessern, erzeugt Widerstand bei den Mitgliedstaaten. Klare Ablehnung gab es im Agrarministerrat von 7 Ländern: Österreich, Kroatien, Slowakei, Slowenien, Rumänien, Ungarn und Polen. Enthalten haben sich Deutschland und Bulgarien, wahrscheinlich auch Luxemburg und Malta. Bei einigen Mitgliedstaaten war angesichts offener Kritikpunkte nicht genau herauszuhören, ob sie am Ende für den Kompromissentwurf stimmen würden oder sich enthalten werden. Beanstandet werden eine Reihe von unstimmigen Punkten. Österreich kritisiert, dass es für NGT-Pflanzen der sog. Kategorie eins keinerlei Risikoprüfung geben soll, das verstoße gegen das Vorsorgeprinzip. Die komplette Ausnahme der Regulierung von NGT-1 aus dem bestehendem Gentechnikrecht, widerspreche dem Subsidaritätsprinzip. Österreich begrüße das Verbot von NGT-1 im Ökolandbau. Allerdings brauche es EU-weit verbindliche Kennzeichnung auch bei Kategorie 1. Die Patentierung der NGTs berge Risiken, da Monopole entstehen könnten und es Risiken hinsichtlich der Artenvielfalt gebe. Deshalb sehen sie keine Grundlage, dem Vorschlag zuzustimmen. Für Deutschland war Bundesminister Cem Özdemir angereist. Er betonte: „Neben den Interessen der Forschung müssen auch die Interessen der Landwirte, der Verbraucher und des Lebensmittelsektors gewahrt bleiben, d.h. Koexistenz, Vorsorge und Transparenz, wobei jeder die Wahl haben sollte, ob er NGT verwenden möchte oder nicht. Wer gentechnikfrei wirtschaften will, ob konventionell oder biologisch, soll dies auch in Zukunft tun können. Deshalb brauchen wir Regeln für die Koexistenz, damit ein funktionierender, milliardenschwerer Markt nicht zerstört wird.“ Rumänien forderte u.a. eine vollständige Risikoanalyse aller NGT-Pflanzen und Slowenien die Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit inkl. Nachweisverfahren aller NGT-Pflanzen, nur so sei das Recht der Verbraucher:innen auf eine freie und informierte Wahl zu gewährleisten. Kroatien betonte, dass sie gentechnikfrei bleiben wollen und der Kommissionsvorschlag das Vorsorgeprinzip ignoriere. Die Haftungsfrage bei Kontaminationen sei ungeklärt. Der Vorschlag, dass im Jahr 2025 eine Studie zu den Auswirkungen der Patente vorgelegt werden soll, ist für viele Mitgliedstaaten zu vage und unzureichend. Am Ende wurde eine Abstimmung verschoben, weil klar war, dass die nötige „qualifizierte Mehrheit“ nicht zustande kommen würde. Für eine qualifizierte Mehrheit sind 55 Prozent der 27 EU-Staaten nötig, die zusammen 65 Prozent der Bevölkerung repräsentieren müssen. Bis Ende des Jahres will Spanien noch versuchen, Kompromisse zu erreichen, dann übernimmt am 1.01.2024 Belgien die Ratspräsidentschaft, die sich (bisher) zu dieser Frage enthalten.

Vorerst gescheitert

Dass die erforderliche qualifizierte Mehrheit für den Gesetzestext vorerst nicht erreicht wurde, ist „ein erster wichtiger Etappensieg für die gentechnikfreie konventionelle und ökologische Landwirtschaft und Lebensmittelerzeugung,“ kommentierte die AbL, sehr wohl im Blick, dass hinter den Kulissen kräftig weiterverhandelt wird. Auch der Verband für Lebensmittel ohne Gentechnik (VLOG) freute sich: „Der Versuch, die Gentechnik-Deregulierung im Eiltempo voranzutreiben, ist zum Glück vorerst gescheitert.“

Agrarausschuss will weiter aufweichen

Parallel zu den Mitgliedstaaten beschäftigt sich das Parlament mit dem Gesetzesvorschlag. Federführend ist der Umwelt-Ausschuss, der Agrarausschuss ist involviert. Bei der Abstimmung des Agrarausschusses über seine Position dominierten die Gentechnik-Befürworter, die den Deregulierungsvorschlag der EU-Kommission noch weiter aufzuweichen wollen. So wollen die Agrarier sogar die Kennzeichnung von NGT-1 am Saatgut streichen. Das Verbot von NGT-1 im Ökolandbau solle nach 7 Jahren überprüft werden, ggf. solle es dann gekippt werden. Dagegen protestierte die Ökobranche, die das Verbot von NGT-1 im Ökolandbau sicherstellen wollen.

Patente

Kritik gibt es jedoch an der Patentierung. Gemäß den eingebrachten Änderungsanträgen sollen NGT-Pflanzen, Pflanzenmaterial, Pflanzenteile und die genetische Information, die die Pflanzen enthalten, nicht patentierbar sein. Das Ansinnen ist positiv, allerdings muss dies im Europäischen Patentübereinkommen geregelt werden bzw. unter den 39 Vertragsstaaten. Das sich die Staaten dafür stark machen, ist derzeit nicht absehbar. Das Europäische Patentamt hat bereits betont, dass für sie einzig die Patentgesetzgebung zähle. Deshalb fordert die AbL, dass die Deregulierungspläne auf Eis zu legen sind, solange die Patentfrage nicht geklärt ist – oder mindestens den Erlass eines Moratoriums auf NGT-Patente, denn erteilte Patente zurückzunehmen ist langwierig, teuer und aufwendig, wie der Kampf von Keine Patente auf Saatgut! zeigt.

Rote Karte zeigen

Der Umweltausschuss des Parlaments wird voraussichtlich am 24. Januar über seine Positionierung abstimmen. Das gesamte Parlament Anfang Februar. Auch wenn bei beiden Gremien eine Mehrheit zustande käme in die Gesetzes-Verhandlungen einzutreten, wäre das noch nicht die endgültige Entscheidung. Es folgen Lesungen und weitere Abstimmungen über Änderungen im Rat und Parlament und der Trilog. Am Schluss erfolgt die finale Abstimmung der Mitgliedsstaaten und des Parlaments.

Beide Gremien – sowohl die Minister:innen der EU-Länder als auch die Abgeordneten des Europaparlaments – sind gut beraten, die Prozesse zu entschleunigen und die Bürger:innen in diese wegweisende Zukunftsentscheidung mit einzubeziehen. Sicherlich wird es eines der Wahlkampfthemen bei der Europawahl. In Deutschland hat AbL-Bäuerin Bärbel Endrass eine Petition gestartet. Zusammen mit ihren drei Mitstreiter:innen aus dem Bereich Züchtung, Verarbeitung und Handel fordert sie die Bundesregierung und das Europaparlament auf: „Kennzeichnung und Regulierung aller Gentechnik-Pflanzen erhalten!“ Auch bei der kommenden Wir haben es satt-Demonstration im Januar heißt es Flagge zeigen – für eine bäuerliche Zukunft – ohne Gentechnik und Patente.

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Annemarie Volling, AbL

21.12.2023
Von: Annmarie Volling, Artikel Bauernstimme 1/2024
Dateien:
Erster_wichtiger_Etappensieg_BS_01_2024.pdf