Der Druck, mit dem Befürworter der neuen Gentechnik (NGT) aus Gentechnikwirtschaft, industrienahen Lobbygruppen, Teilen der Wissenschaft und der Politik den Gesetzesvorschlag der EU-Kommission zur fast kompletten Deregulierung von NGT-Pflanzen durchdrücken wollen, war und ist groß. Bisher – und das ist ein wichtiger Etappensieg der gentechnikkritischen Bewegung – sind ihre Bemühungen nicht von Erfolg gekrönt. Das ist wichtig, denn würde der Gesetzesvorschlag der EU-Kommission so oder so ähnlich verabschiedet, würden zukünftig fast alle NGT-Pflanzen ungeprüft, intransparent und unkontrollierbar in unser Saatgut, unsere Lebensmittel und unsere Umwelt gelangen.
Zwar hat das (alte) Europaparlament seine Verhandlungsposition pro Deregulierung bereits im Februar 2024 festgelegt – allerdings nur mit einer sehr knappen Mehrheit. Im EU-Agrarministerrat gibt es große Kritik diverser Mitgliedstaaten, unterstützt von mehreren nationalen Umweltbehörden, kritischen Wissenschaftler:innen, der gentechnikfreien Wirtschaft und der kritischen Zivilgesellschaft.
Koexistenz- und Haftungsregelungen
Die AbL hat sich immer wieder in die laufenden Verhandlungen eingebracht, u. a. mit einem Brief an die ungarische Ratspräsidentschaft. Diese hatte Anfang Juli 2024 in einem Diskussionspapier zehn Punkte aufgelistet, die verschiedene Mitgliedstaaten im Deregulierungsvorschlag der EU-Kommission strittig sehen. Die AbL unterstrich, dass es auch über die dort benannten hinaus weitere Maßnahmen braucht, um eine gentechnikfreie konventionelle und ökologische Erzeugung sicherzustellen. Dies sind vor allem wirksame und EU-weite Koexistenzregelungen (wie z. B. ein flurstückgenaues Standortregister, wirkungsvolle Anbauabstände, Reinigungsauflagen bei gemeinsamer Maschinen- und Lagernutzung). Genauso entscheidend sind Haftungsregelungen bei wirtschaftlichen, gesundheitlichen und ökologischen Schadensfällen, die die Verursachenden in die Pflicht nehmen: Diejenigen, die Mehrkosten und -aufwand zur Sicherstellung der Gentechnikfreiheit verursachen, müssen dafür auch zahlen. Zudem müssen Stoppmaßnahmen formuliert werden, sowohl bei negativen Auswirkungen auf die Umwelt und/oder die Gesundheit von Menschen und Tieren als auch bei Vorliegen sozio-ökonomischer Gründe (sog. Opt-out). Ferner bräuchte es wirksame und rechtssichere Verbote von Patenten auf neue Gentechnikpflanzen.
Kontrovers diskutiert
In der letzten Agrarratssitzung unter ungarischer Ratspräsidentschaft am 10. Dezember wurde erneut kontrovers debattiert. Der neue EU-Gesundheitskommissar Olivér Várhelyi aus Ungarn vertrat die starre Linie der Kommission: Man wisse, dass es Fragen und Sicherheitsbedenken bezüglich des Verordnungsvorschlags gebe, lehne ein Auseinandersetzung damit aber ab. Danach konnten sich Mitgliedstaaten äußern. Befürwortende Länder wie Spanien, Portugal, Tschechien, Italien, Dänemark, die Niederlande, Finnland, Schweden, Irland und Estland sprachen sich für einen zügigen Abschluss der Ratsberatung aus. Andere Mitgliedstaaten forderten Nacharbeitung am Verordnungsentwurf (bspw. Luxemburg, Malta, Zypern, Frankreich). Von vielen Mitgliedstaaten wurde die Patentfrage angesprochen. Die Forderungen reichten von einer Klärung (bspw. Frankreich) bis hin zum wirksamen Verbot von Patenten auf NGT-Pflanzen (bspw. Zypern). Klar ablehnend zum Verordnungsvorschlag äußerten sich Kroatien, Griechenland, Bulgarien, Rumänien, Litauen, Slowenien und Österreich. Einige Mitgliedstaaten wie Deutschland nutzten die Möglichkeit zur Meinungsäußerung nicht. Interessant ist, dass Griechenland sich seit einiger Zeit kritisch zu den Deregulierungsvorhaben äußert. Sie plädieren für die Beibehaltung der bestehenden Gentechnikrechtsvorschriften und argumentieren mit Biodiversität und dem Vorsorgeprinzip: NGT seien neue Techniken und es gebe keine Erfahrungswerte für die sichere Verwendung dieser Pflanzen und ihrer Produkte sowie für ihre Auswirkungen auf die Umwelt und auf die Gesundheit von Mensch und Tier. Griechenland fordert die verpflichtende Risikobewertung aller NGTs und Kennzeichnung bis zum Endprodukt. Rumänien gab zu bedenken, dass die Im- und Exporte gefährdet seien, da die Vorschriften von Drittländern denen der geplanten NGT-Deregulierung in der EU entgegenstehen könnten. Zudem bezweifeln Rumänien u. a. Mitgliedstaaten die Vereinbarkeit des Gesetzesvorschlags mit dem Cartagena-Protokoll (internationale Vereinbarung zur biologischen Vielfalt), dies solle vom juristischen Dienst der EU geprüft werden. Rumänien u. a. forderten erneut Kennzeichnungspflicht, Nachweisverfahren und Identifizierung auch für NGT-Produkte, die Wahrung des Vorsorgeprinzips und Schutz von Gesundheit und Umwelt. Österreich betonte, es brauche eine Risikobewertung im Sinne des Vorsorgeprinzips, verpflichtende Kennzeichnung im Sinne der Wahlfreiheit und eine Koexistenzgarantie für gentechnikfreie und ökologische Produktion. Die abzusehenden Patente seien insbesondere für kleine und mittlere Zuchtunternehmen sehr problematisch.
Polen soll Weichen stellen
Ab dem 1. Januar 2025 übernimmt Polen die EU-Ratspräsidentschaft. Bisher galt das Land als gentechnik- und patentkritisch. Der polnische Landwirtschaftsminister Czesław Siekierski sagte gegenüber dem Medium Politico, dass sie die Patentvorschläge eingehend prüfen wollten, v. a. kleinere Pflanzenzüchter seien zu schützen. Hinsichtlich des Deregulierungsvorhabens wollten sie sich darauf konzentrieren, „ausgewogene Lösungen" zu finden. Erst wenn sich auch der Ministerrat auf eine Verhandlungsposition einigt, finden die sogenannten Trilog-Verhandlungen statt. Je nachdem, wie weit die Positionen auseinanderliegen, kann es dann schnell zu einer Einigung kommen – oder es kann länger dauern. Unklar ist noch, wie sich das im Sommer 2024 neu gewählte Europaparlament zu den strittigen Fragen stellt. Am Ende wird der Kompromisstext nochmal im Parlament und im Rat abgestimmt.
Aktiv werden
In Deutschland kann die jetzige rot-grüne Minderheitsregierung bis zu den Neuwahlen des Deutschen Bundestags nur bedingt Einfluss nehmen. Der Wahlkampf ist in vollem Gang und muss dafür genutzt werden, eine sehr eindeutige Positionierung der Parteien zum Umgang mit der NGT einzufordern, die dann auch bei der Bildung einer neuen Bundesregierung eine Rolle spielen sollte. Die AbL hat entsprechende Forderungen aufgestellt und wird diese einbringen.
Aktuelle Hintergründe und Mitmachaktionen finden sich unter: www.abl-ev.de/gentechnikfrei.
Autorin: Annemarie Volling, AbL-Referentin für Gentechnik