In einer gemeinsamen Stellungnahme fordern Forscher der Leopoldina, der Union der Deutschen Akademien der Wissenschaften und die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), das EU-Gentechnikrecht zu ändern. Demnach sollen nur noch bestimmte neue Gentechnik-Pflanzen dem Gentechnik-Recht und einer Kennzeichnungspflicht unterliegen, ein Großteil soll unreguliert angebaut oder auf den Markt kommen dürfen.
Aktuell ist noch unklar, wie die neue EU-Kommission sich zu den neuen Gentechnik-Verfahren positioniert. Ob sie dem Europäischen Gerichtshof folgt, der im Juli 2018 bestätigt hat, dass auch Organismen, die durch neue Gentechnik-Verfahren wie CRISPR erzeugt worden sind, Gentechnik sind und nach EU-Gentechnikrecht reguliert werden müssen. Oder ob die Kommission dem starken Lobbydruck seitens der Gentechnik-Industrie und der Forscher nachgibt, die eine Regulierung der neuen Verfahren nach Gentechnikrecht möglichst verhindern will. Keine Regulierung hieße keine verpflichtende Risikoprüfung und Bewertung, keine Transparenz, weil kein Zulassungsverfahren nötig wäre, um GV-Pflanzen anzubauen oder zu importieren, keine Rückverfolgbarkeit, keine Kennzeichnung, keine Übernahme der Haftung im Schadensfall.
In letzteres Horn stoßen nun auch die Leopoldina, die 2008 zur Nationalen Akademie der Wissenschaften ernannt wurde und sich als Berater der Politik und Gesellschaft versteht, und die DFG, die in Deutschland mit Abstand die meisten Forschungsgelder (Drittmittel) vergibt. Ihr Förderetat betrug 2018 fast 3,4 Mrd. Euro. Konkret schlagen die Wissenschaftler vor, dass kurzfristig alle GV-Organismen vom Gentechnikrecht auszunehmen seien, in die „keine artfremde genetische Information eingefügt ist“ und/oder wenn „eine Kombination von genetischem Material vorliegt, die sich ebenso auf natürliche Weise oder durch konventionelle Züchtungsverfahren ergeben könnte“. Ob eine Ausnahme vorliegt, könne in einem „behördlichen Vorprüfungsverfahren“ geklärt werden. Trifft sie zu, dann würde auch die Kennzeichnungspflicht gestrichen. Längerfristig solle ein „völlig neuer Rechtsrahmen“ geschaffen werden. Der „verfahrensbezogene Ansatz“ sei „wissenschaftlich nicht begründbar“ – vielmehr sei das Risiko abhängig von der „Neuartigkeit des jeweiligen Produktes bzw. Merkmals.“ Freisetzungsversuche sollen „schnellstmöglich“ praktikabel gemacht werden, das Standortregister wird in Frage gestellt. Das „kostenintensive Zulassungsverfahren“ führe zu erheblichen Innovationshemmungen. Das Vorsorgeprinzip dürfe nicht an „spekulativen Risiken anknüpfen.“
Unabhängige Experten?
Kritisch ist die Zusammensetzung der Expertengruppe, die die Stellungnahme erarbeitete, so die gentechnikkritische Organisation Testbiotech. Darunter seien mehrere Entwickler*innen gentechnisch veränderter Organismen, die selber Patente auf entsprechende Verfahren und Pflanzen angemeldet haben. Einige kooperierten auch mit Gentechnik-Konzernen wie Bayer oder der BASF. Darunter Prof. Detlef Weigel vom Max Planck-Institut in Tübingen, der Patente auf GV-Pflanzen hält, und laut eigenen Angaben Bayer berät. Prof. Holga Puchta vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) ist einer der Pioniere der neuen Gentechniken und ist beteiligt an Patenten auf GV-Pflanzen bzw. an Verfahrens-Patenten, u.a. gemeinsam mit der BASF. Prof. Bernd Müller-Röber ist Vorstand von VBIO, einem Verein von Biowissenschaftler*innen. Auch er ist an einer Reihe von Gentechnik-Patenten beteiligt, u.a. gemeinsam mit Bayer. Als Fachexperten wurden u.a. die KWS Saat SE sowie der Bundesverband Deutscher Pflanzenzüchter angehört. Gentechnikkritische Vertreter oder Ökologen waren nicht vertreten. Dies zeigt, dass die Expert*innen keineswegs unabhängig sind, sondern auch ein offensichtliches Interesse an der Anwendung der Gentechnik und ihrer kommerziellen Verwertung haben.
Vorsorge ist die eigentliche Innovation
Ein deutlich differenzierteres Verständnis von Wissenschaft und Vorsorge vertritt Helmut Gaugitsch vom Umweltbundesamt Wien auf der wissenschaftlichen Tagung: „CRISPR macht’s möglich?“ der Fachstelle Gentechnik und Umwelt am 11.12.2019 in Berlin. „Die neuen Gentechnik-Verfahren wie CRISPR-Cas sind mächtige Verfahren, mit denen es möglich ist, das Genom tiefgreifend zu verändern. Diese gehen deutlich über die bisherigen möglichen Veränderungen hinaus,“ so Gaugitsch. Es könnten Genbereiche verändert werden, die für die bisherigen Verfahren wenig zugänglich seien. Mehrere Orte könnten gleichzeitig verändert und ganz neue Kombinationen erzeugt werden. Es können auch mehrere Gene gleichzeitig verändert werden. Sogar gekoppelte Gene könnten einzeln adressiert werden, was mit den bisherigen Verfahren kaum möglich sei. Eine Risikobewertung von lediglich „transgenen“ Pflanzen greife viel zu kurz und sei fachlich nicht fundiert. Er gibt zu bedenken, dass eine höhere Präzision nicht mit Sicherheit gleichzusetzen sei. Selbst kleine Veränderungen könnten gravierende Auswirkungen haben, dies sei eben in einer Risikobewertung zu analysieren. Er weist auf unser limitiertes Wissen über die tatsächlichen Wirkungen von kleinen oder großen Veränderungen hin. Bei der Prüfung des Endprodukts und seiner Merkmale muss auch das eingesetzte gentechnische Verfahren im Hinblick auf etwaige Risiken geprüft werden. Eine Regulierungsausnahme verschiedener neuer Gentechnik-Verfahren, sei derzeit keine Option – zumal es keinerlei Erfahrungen und systematische Risikoerfassung bei den neuen Gentechnik-Verfahren gebe. Das der Gentechnik-Regulierung zugrundeliegende Vorsorgeprinzip sei auch kein Verhinderungsprinzip – wie es teilweise dargestellt werde – sondern ein wichtiges Innovationselement.
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