Nicht nur NGT-Pflanzen sind Grund zur Besorgnis

Neue-Gentechnik-„Bodenbakterien aus der Tüte“ sind bereits auf dem Markt

Ohne große Werbekampagnen und fast „nebenbei“ hat die Agrarchemieindustrie in den USA kommerzielle Produkte auf den Markt gebracht, die NGT-Mikroorganismen enthalten. Das brachte eine kürzlich veröffentlichte Studie der US-Nichtregierungsorganisation Friends of the Earth (FOE) ans Licht. Der Titel: „Genetisch veränderte Bodenmikroben – Risiken und Bedenken“ („Genetically Engineered Soil Microbes: Risks and Concerns“).

Worum geht es?

Mikroben sind kleine, lebende Organismen, die überall beheimatet sind – in der Luft, im Boden, im Wasser und in uns. Auf einer Website der Oregon State University heißt es: „Ein einziger Teelöffel (ein Gramm) Gartenerde enthält bis zu einer Milliarde Bakterien, mehrere Meter Pilzfilamente, einige Tausend Einzeller und jede Menge Nematoden.“ Nur ein Bruchteil dieser Organismen wurde bislang identifiziert, aber wir wissen, dass sie interagieren und für die Ernährung und Gesundheit von Pflanzen extrem wichtig sind. „Nützliche Mikroben schützen Pflanzen vor Krankheiten, indem sie Warnsignale aussenden, schützende chemische Sekrete in den Boden ausscheiden und mit Pathogenen konkurrieren. Mikroben können Nährstoffe für Pflanzen leichter zugänglich machen, indem sie sie aus Bodenpartikeln herauslösen oder ihre chemische Form verändern“, heißt es in der Einleitung des FOE-Berichts.

Seit wir die Funktionen von Mikroben besser zu verstehen beginnen, arbeitet die Agrarchemieindustrie an der Entwicklung sogenannter „Biologicals“ – oder „Bodenbakterien aus der Tüte“. Sie sollen als Bio-Stimulanzien fungieren und das Pflanzenwachstum fördern oder als Bio-Pestizide agieren. „Weltweit bieten inzwischen mehr als 1.200 Firmen landwirtschaftliche Produkte an, die aus in der Natur vorkommenden Mikroben und Pflanzen gewonnen werden“, heißt es bei FOE. Hunderte solcher Biologicals sind bereits auf dem Markt.

Warum ist das jetzt ein Thema?

Laut FOE stehen wir an einem Wendepunkt. Firmen wie Bayer, Syngenta (ChemChina) und Corteva (Dow-Dupont) wissen, dass der Agrarchemieboom vorbei ist und setzen deshalb auf Biologicals. FOE schätzt, dass in nur acht Jahren, von 2021 bis 2029, der Markt für Biologicals auf 30 Milliarden US-Dollar anwachsen wird, was einer Verdreifachung entspräche. Wie bisher wird sich das meiste Geld mit Produkten verdienen lassen, die genetisch veränderte Organismen enthalten oder mit solchen Organismen hergestellt wurden, denn beides ist patentierbar. NGT-Mikroben werden „als Teil einer ‚integrierten‘ Plattform“ gesehen, „so dass die ‚Biologicals‘ nur im Zusammenhang mit gentechnisch verändertem Saatgut, Pestiziden und anderen patentrechtlich geschützten Produkten erhältlich sind”. LandwirtInnen erhalten die Produkte nur als Teil eines Bündels.

Warum das ein Problem ist

Bei Pflanzen können genetische Eigenschaften innerhalb einer Spezies von einer Sorte auf die andere übertragen werden. Das ist die Grundlage konventioneller Züchtung. Mikroben haben die außerordentliche Fähigkeit, genetisches Material zwischen Spezies auszutauschen. „Anders als Pflanzen und Tiere sind Mikroben in der Lage, durch ‚horizontalen Gentransfer‘ genetisches Material vergleichsweise einfach miteinander teilen zu können, sogar mit nicht artverwandten Organismen. Das bedeutet, dass sich genetische Veränderungen in NGT-Mikroben in unvorhersehbarer Weise über Speziesgrenzen hinweg ausbreiten können.“ Und darin besteht die Gefahr. „Gentechnisch veränderte Mikroben in der Landwirtschaft stellen ein bisher nie dagewesenes Freilandexperiment dar, das irreversible Konsequenzen haben kann. Sobald sie freigesetzt werden, können sie nicht mehr entfernt werden.“

Zauberlehrling Agrarindustrie

Laut FOE sind in den USA mindestens zwei Biologicals mit NGT-Mikroben kommerziell erhältlich und im Einsatz: „Proven® besteht aus lebenden Kosakoniasacchari- und Klebsiella-bariicola-Bakterien, bei denen der Schaltmechanismus für die Stickstoff-Fixierung genetischausgeschaltet wurde.“ Laut Angaben der Firma ist das Produkt als Saatgutbeize für Mais erhältlich und als Bodenapplikation für Gerste, Hirse, Hafer, Sorghum, Sonnenblumen und Sommerweizen. Zusammen mit Bayer wird an einem ähnlichen Produkt für Sojabohnen gearbeitet. Angeblich soll Proven® synthetischen Dünger ersetzen. Wissenschaftliche Studien, die das belegen, gibt es laut FOE nicht.

Ein zweites Produkt ist die Saatgutbeize Poncho®/VOTiVO® 2.0. Diese wurde von Bayer entwickelt, wird von BASF vertrieben und verbindet Neonikotinoide mit genetisch veränderten Bacillusthuringiensis-Bakterien, die angeblich die Aktivität von Mikroben erhöhen, indem sie Pflanzenreste im Boden in Zucker verwandeln und dadurch Pflanzen mehr Nährstoffe zur Verfügung stellen.

Der Bericht von FOE listet eine Reihe von Firmen und Universitäten auf, die an weiteren Produkten arbeiten – eine mit Sicherheit unvollständige Liste, denn Firmen können fast alle Informationen als „geschäfts- und produktionsrelevant“ geheim halten und es ist völlig unklar, ob, wann und unter welchen Bedingungen ein Produkt von einer Behörde geprüft werden muss. NGT-Pflanzen sind in den USA schon seit längerem Pflanzen aus traditioneller Zucht gleichgestellt. Warum soll das nicht auch für Mikroben gelten?

Zum Report: hier

Marianne Landzettel, freie Journalistin

21.12.2023
Von: Marianne Landzettel, Bauernstimme 1/2024
Dateien:
Nicht_nur_NGT_sind_Grund_zur_Besorgnis_BS_01_2024.pdf