Trotz enormem Drucks seitens der Gentechnik-Industrie, der EU-Kommission, der EVP im Europaparlament und einigen Mitgliedstaaten - vorneweg der vorherigen spanischen Ratspräsidentschaft - sind bislang die zahlreichen Versuche, eine Positionierung des EU-Agrarministerrats zum Deregulierungs-Gesetzesentwurf der EU-Kommission, bisher gescheitert. Erst wenn auch vom Rat eine Verhandlungsposition vorliegt, startet der sogenannte Trilog. Im Trilog sollen sich das neue Europaparlament, der EU-Rat und die EU-Kommission auf einen gemeinsamen Gesetzestext einigen. Am Ende wird dieser nochmal von Rat und Parlament abgestimmt. Beide Organe haben allerdings dann nochmals die Möglichkeit, den Gesetzestext abzulehnen, dies erfordert starken Widerstand der Zivilgesellschaft.
Umstrittenes Patentthema
Auch die nun amtierende belgische Ratspräsidentschaft versucht bis zum Schluss, die Mitgliedstaaten dazu zu bewegen, dem Gesetzesentwurf zuzustimmen und bietet dafür „Kompromisstexte“ an, v.a. zur umstrittenen Patentproblematik. Zunächst schlug Belgien Lizenzplattformen vor. Diese nützen vor allem den großen Konzernen, kleine und mittlere Züchter begeben sich dadurch in Abhängigkeit der Konzerne.
Mitte Mai schlug Belgien vor, dass nur NGT-Pflanzen, auf die kein Patent angemeldet ist, den Status der sogenannten Kategorie 1 erhalten könnten, einhergehend mit der völligen Deregulierung dieser NGT-1-Pflanzen. Sind Patente auf die NGT-Pflanze angemeldet, sollen sie in Kategorie 2 fallen, welche sehr abgeschwächt reguliert werden soll. Erfreulich ist, dass die sich die Arbeitsgruppe des EU-Rats Ende Mai diesem Vorschlag nicht angeschlossen hat. Dort sind stattdessen viele Bedenken und Fragen zum Patentvorschlag von den Mitgliedsstaaten gestellt worden. Auch weitere ungelöste Fragen zur Koexistenz, Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung auf allen Stufen der Erzeugungskette wurden erneut adressiert. Auch die AbL kritisierte den Vorschlag, denn aus bäuerlicher Sicht muss die Patentierung von NGT-Pflanzen rechtssicher ausgeschlossen werden. Dazu müsste das Europäische Patentübereinkommen (EPÜ), das 39 Vertragsstaaten abgeschlossen haben, geändert werden. Bis ein rechtssicheres Verbot umgesetzt ist, muss das Deregulierungsvorhaben aus AbL-Sicht gestoppt werden.
Die belgische Ratspräsidentschaft kündigte an, weiter am Text zu arbeiten. Tatsächlich legte sie aktuell, also wenige Tage vor der letzten Sitzung des EU-Agrarrats und der Arbeitsgruppe Ende Juni einen überarbeiteten Patentvorschlag vor. Mehrere NGOs forderten die Mitgliedsstaaten auf, , den Text sorgfältig zu prüfen statt ihn vorschnell durchzuwinken. Dazu gibt es in der anstehenden ungarischen Ratspräsidentschaft genügend Zeit.
Altes EP für Deregulierung
Das inzwischen abgewählte Europäische Parlament (EP) hatte bereits im Februar über seine Position zum Deregulierungsvorschlag der EU-Kommission abgestimmt (s. Bauernstimme 3/2024). Bei der letzten Sitzung des alten EPs Ende April stand erneut eine Abstimmung darüber auf der Tagesordnung. Im Vorfeld hatte die AbL alle Europaparlamentarier aufgefordert, dieser Zementierung des Februar-Votums nicht zuzustimmen, sie hatte dies mit wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Argumenten begründet. Leider war das EP nicht umzustimmen. Interessant ist das Abstimmungsverhalten einiger EP-Abgeordneter. Allen voran der Fraktionsvorsitzende der EVP, Manfred Weber von der CSU. Er ist einer der massivsten Treiber der Verabschiedung einer Gentechnik-Deregulierung. Allerdings war er bei der Abstimmung im Februar abwesend. Im April hat er dann gegen das Deregulierungsvorhaben und damit gegen seine eigene Parteilinie gestimmt. Über die Gründe kann man nur spekulieren, vielleicht scheut er in seinem bayerischen Wahlkreis die Auseinandersetzung mit diesem für Bäuer:innen und Verbraucher:innen wichtigen Thema. Vielleicht konnte ein an ihn gerichteter Unternehmer-Brief, der die Kennzeichnungspflicht einfordert, ihn überzeugen.
Wie geht es weiter?
Ab 1. Juli übernimmt Ungarn die Ratspräsidentschaft, danach folgt Polen. Ungarn hat schon angekündigt, dass das NGT-Dossier eine hohe Priorität haben soll. Da beide Staaten einer Deregulierung kritisch gegenüberstehen, könnte es möglich sein, dass endlich die vielen offenen wissenschaftlichen, juristischen und wirtschaftlichen Fragen angemessen diskutiert werden können.
Gentechnikfreie Erzeugung sichern
Aus Sicht der AbL wäre es ein sehr weiter Weg, den vorliegenden Gesetzesvorschlag so zu verbessern, dass auch weiter das Recht auf gentechnikfreie Lebensmittelerzeugung gesichert ist. Denn der Vorschlag der EU-Kommission ist schon im Grundkonstrukt falsch. 94 % der zu erwartenden NGT-Pflanzen würden nicht mehr nach bisherigem Gentechnikrecht reguliert. Das wäre das Aus der gentechnikfreien ökologischen und konventionellen Lebensmittelerzeugung. Das widerspricht dem EU-Vorsorgeprinzip und dem Cartagena-Protokoll. Auch die französische Gesundheitsbehörde ANSES und das deutsche Bundesamt für Naturschutz (BfN) kritisieren die enorm weitgefassten Kriterien der Kategorie 1 als unwissenschaftlich. Stattdessen müsse jede NGT-Pflanze einer umfassenden Risikoprüfung unterzogen werden. Aus bäuerlicher Sicht ist zudem zu kritisieren, dass alle Schutzmaßnahmen, um Gentechnikfreiheit zu erhalten, abgeschafft werden sollen, genauso wie die in Deutschland geltenden Haftungsregelungen. Schadensfälle in der Lebensmittelerzeugung oder in der Umwelt würden dem gentechnikfrei erzeugenden Sektor und damit den Bäuer:innen und der Gesellschaft aufgebürdet. Zudem sieht der vorliegende Vorschlag lediglich eine Kennzeichnung des Saatguts vor (als „Kat 1 NGT“). Das alte Europaparlament hat eine Kennzeichnungspflicht bis zum Endprodukt gefordert, ob das auch im weiteren Prozess Bestand hat, ist offen. Die Kennzeichnungspflicht wäre ein erster wichtiger Schritt. Um diese praktisch umzusetzen, braucht es mehr: Verpflichtende Nachweisverfahren durch die Inverkehrbringer bei der Zulassung sowie Lieferung von Referenz- und Kontrollmaterial; wirksame europaweit festgelegte Koexistenzregelungen, die die Trennung von Warenströmen ermöglichen und die Verunreinigungen sicher verhindern. Nur so kann die Wahlfreiheit erhalten werden. Zudem müssen umfassende Haftungsregelungen im Sinne des Verursacherprinzips festgeschrieben werden. Ziel muss es sein, das Recht auf gentechnikfreie ökologische und konventionelle Lebensmittelerzeugung zu sichern.
Annemarie Volling, AbL-Referentin für Gentechnik