EU-Kommission für neue Gentechnik?

Vorsorgeprinzip, Wahlfreiheit und gentechnikfreie Lebensmittelerzeugung sichern

Aktuell wird auch in der neuen „Farm to Fork“-Strategie der EU-Kommission darüber gestritten, ob die neuen Gentechnik-Verfahren (wie CRISPR, TALEN, ODM, ZFN) als Gentechnik reguliert werden müssen oder nicht. In einem Leak von Anfang März werden die neuen Gentechnik-Verfahren explizit genannt und gehofft, dass sie eine Rolle bei der „Erhöhung der Nachhaltigkeit“ und bei den Herausforderungen des Klimawandels spielen könnten. Im öffentlichen Konsultationsprozess zur „Farm to Fork“-Strategie fordert der Deutsche Bauernverband, den „Weg für Innovationen frei zu machen“ und argumentiert, dass die neuen Techniken aktiv zum Erreichen der hohen Umwelt- und Klimaambitionen der EU beitragen könnten. Forschung und Entwicklung müssten vorangetrieben und ihre Anwendung in Zukunft gewährleistet sein. Der Bayer-Konzern fordert ein „wissenschaftsbasiertes Regulierungssystem“ und einen „innovationsfreundlichen Regulierungsrahmen.“ Soweit, so durchsichtig. Es geht den Gentechnik-Befürwortern darum, dass möglichst wenige oder keine der neuen Gentechnik-Verfahren nach Gentechnikrecht reguliert werden müssen. Sie wollen Kennzeichnung, Rückverfolgbarkeit und damit auch die Übernahme von Schadensausgleich im Verunreinigungsfall verhindern – und das am liebsten weltweit. Kontrolle ermöglichen Sowohl aus wirtschaftlicher Sicht als auch aus Vorsorgegründen müssen die neuen Gentechnik-Verfahren reguliert werden. Die Verfahren sind neu und bisher ohne systematische Risikoprüfung. Zu behaupten, sie seien sicher, ist unwissenschaftlich. Diese ungeprüft und ggf. nicht mehr rückholbar auf den Acker und damit in die Lebensmittelerzeugung gelangen zu lassen, ist nicht vereinbar mit dem in der EU verankerten Vorsorgeprinzip. Dies bestätigte auch das Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 25. Juli 2018. Demnach sind auch die neuen Gentechnik-Verfahren Gentechnik und unterstehen der geltenden EU-Gentechnik-Gesetzgebung. Das EuGH-Urteil hat Rechtssicherheit geschaffen. Es muss nun von der EU-Kommission und den Mitgliedstaaten umgesetzt werden. Dies hat die abL in ihrer ausführlichen stellungnahme zur „Farm to Fork“-Konsultation eingebracht. Regulierung heißt nicht Verbot, sondern Forschung und Freisetzung unter gewissen Sicherheitsbedingungen und Import und Verwendung als Futter- oder Lebensmittel oder Anbau erst nach durchlaufenem Zulassungsverfahren. Dies beinhaltet eine Risikoprüfung und -bewertung, Rückverfolgbarkeit und Lieferung eines Nachweisverfahrens seitens der Entwickler, Kennzeichnung, Haftungsregelungen und Monitoring. Die Befürworter wollen am liebsten, dass nur „Transgene“ reguliert werden, also dann, wenn artfremde Gene in einen Gentechnik-Organismus eingebracht wurden. „Kleinere Veränderungen“, wie das Umschreiben weniger Basenpaare oder das Ausschalten von Genen, sollen nicht reguliert werden. Allerdings können auch kleine Veränderungen unabsehbare Auswirkungen auf den Organismus oder das Ökosystem haben. Unerwartete Auswirkungen Wissenschaftler*innen des Europäischen Netzwerkes ENSSER betonen, es gebe keine Garantie dafür, dass der Einsatz der neuen Gentechnik-Verfahren zu vorhersehbaren Ergebnissen führe oder dass die daraus resultierenden Produkte sicher seien. Die derzeitigen Gentechnik-Verfahren, einschließlich Genom-Editierung und das Abschalten von Genen, sind nicht spezifisch genug, um nur die beabsichtigten molekularen Veränderungen einzuführen. Unerwartete molekulare Veränderungen können zur Bildung neuer Toxine und Allergenen führen. Selbst beabsichtigte molekulare Veränderungen können unerwartete Auswirkungen zeigen, da das Wissen über regulatorische oder metabolische (Stoffwechsel) Prozesse unvollständig ist. Aus diesen Gründen ist es für die Wissenschaftler*innen unerlässlich, eine fallbezogene Risikobewertung für alle durch Genom-Editierung veränderte Organismen durchzuführen. Gentechnikfreie Lebensmittelerzeugung sichern Auch aus wirtschaftlichen Gründen und zum Schutz unserer Lebensmittelerzeugung vor nicht wieder rückholbaren Gentechnik-Bestandteilen, müssen die neuen Gentechnik-Verfahren reguliert werden. Nur so können die Wahlfreiheit und eine gentechnikfreie Lebensmittelerzeugung vom Saatgut bis zum Teller des Verbrauchers sichergestellt werden. Folgen einer Deregulierung neuer Gentechnik-Verfahren wären:
  • Die Sicherung der gentechnikfreien Lebensmittelerzeugung, von der Züchtung, Vermehrung, Anbau, Verarbeitung und Handel, wäre unmöglich

  • Verlust von Wettbewerbsvorteilen, die sich europäische Bäuerinnen und Bauern erarbeitet haben

  • Verlust von Handelspartnern, wenn diese garantiert gentechnikfreie Waren haben wollen

  • Vertrauensverluste bei einem Großteil der Verbraucher*innen, die Gentechnik in der Landwirtschaft und im Essen ablehnen

  • Abschaffung von Transparenz und Wahlfreiheit für den gesamten Lebensmittelsektor

  • Keine Kontroll- und Rückverfolgbarkeitsmöglichkeiten in der Lebensmittelerzeugung; keine Schutzmöglichkeiten vor Kontaminationen und keine Haftung im Schadensfall; Unterwanderung des Verursacherprinzips

  • Einschränkung oder Verhinderung der gentechnikfreien Züchtungsarbeit: Ohne Transparenz der verwendeten Verfahren und durchgeführten gentechnischen Veränderungen ist ein Austausch von genetischem Material zur Erweiterung des Genpools kaum noch möglich; ohne Standortregister können Zuchtgärten und Vermehrungsflächen kaum wirksam vor Verunreinigungen geschützt werden

  • Verschärfung der Patentsituation: Konzerne haben sich bereits die Grundlagenpatente (auf die einzelnen Techniken) sowie Anwendungspatente (mit zum Teil sehr weitgehenden Ansprüchen) gesichert; Erhöhung der Rechtsunsicherheiten und erhebliche Einschränkung der Züchtungsarbeit, v.a. für kleine und mittelständische Züchter, da unklar ist, mit welchem Material sie weiter züchten können

  • Verhinderung von Forschung und Innovationsprozessen

  • Verhinderung von Alternativen

  • Aushebelung des Vorsorgeprinzips Unterwanderung der Sorgfaltspflicht auch für zukünftige Generationen.

Spekulative Versprechen „Trockenheitstoleranz“, Ertragssteigerungen oder Lösungen für den Hunger, das sind die alten und neuen Versprechen der Gentechnik-Industrie. Ob dies durch die neuen Gentechnik-Verfahren erreicht werden kann, ist im Moment sehr spekulativ. Gerade Trockentoleranz oder Ertragssteigerungen sind komplexe Eigenschaften, die nicht auf einzelnen DNA-Abschnitten beruhen, sondern aus einem komplexen Zusammenspiel mehrerer Gene, der Umwelt der Pflanzen und unterschiedlichen Steuerungsmechanismen hervorgehen. Zudem sind diejenigen Eigenschaften, welche Trockenheitstoleranz bedingen, tief in der Konstitution der Pflanzen verankert. Eine züchterische Verbesserung von Trockenheitstoleranz ist deshalb fast immer mit weiteren, grundlegenden, pflanzenphysiologischen Veränderungen verbunden. Und Hunger ist vor allem ein Verteilungsproblem. Was wir angesichts der Herausforderungen brauchen, ist die Entwicklung widerstandsfähiger Anbausysteme, die den Boden wasseraufnahmefähiger machen, Humus aufbauen, Bodendegradation verhindern, Bodenlebewesen aktivieren. Es braucht weite Fruchtfolgen mit vielfältigen Sorten. Es braucht Vielfalt im System und Risikostreuung. Es ist also entscheidend, dass Europa nicht einseitig einem Forschungspfad folgt, sondern sich vielfältig aufstellt und gentechnikfreie Alternativen fördert. Artikel aus der Unabhängigen Bauernstimme (April 2020), Annemarie Volling, Gentechnik-Expertin der AbL. Link zum Artikel_hier. AbL-Stellungnahme hier.
26.03.2020
Von: Annemarie Volling, Unabhängige Bauernstimme (4/2020)

Dateien:
AbL_Stellungnahme_zur_F2F_final_20.03.2020.pdf