Bienen im Visier der neuen Gentechnik

Noch 2011 bestätigte der Europäische Gerichtshof den Imkern: Honig muss frei von Gentechnik-Pollen sein. Inzwischen jedoch ist die Biene selbst zum Objekt gentechnischer Veränderungen geworden. Die gentechnisch „optimierte“ Honigbiene soll nun mit Hilfe gentechnisch manipulierter Darmbakterien resistenter gegen Pestizide und Milben gemacht werden. Wissenschaftliche Interessen Die Honigbiene ist für die Wissenschaft von großem Interesse. Sie gilt als Modellorganismus für die Erforschung von Krankheiten, sozialem Verhalten und Gehirnfunktionen bei Insekten. Ihr Genom wurde 2006 vollständig sequenziert. Um die Funktionen der nun bekannten DNA-Abschnitte herauszufinden und zu entschlüsseln, werden Gen-Abschnitte durch Methoden wie CRISPR-Cas manipuliert. Auf Grundlage dessen ist es bereits gelungen, gentechnisch veränderte Bienenvölker herzustellen, die eine höhere Vitalität, Leistung oder Pestizidtoleranz haben sollen. Risiken und Nebenwirkungen dieser Anwendungen im Bienenstaat zu erfassen, erscheint besonders schwierig vor dem Hintergrund, dass wir das komplexe Sozialverhalten des Superorganismus noch lange nicht vollständig verstanden haben. Schutz vor Pestiziden durch Gentechnik? Da die insektenschädlichen Auswirkungen von Pestiziden gesellschaftlich nicht mehr akzeptiert werden, setzen agrarindustrielle Unternehmen zunehmend darauf, die Pestizidproblematik durch Gentechnik zu lösen. Um an ihrem Gewinnmodell festhalten zu können, hoffen sie durch Gentechnik die Bienen ans System anpassen zu können. 2018 wurde in den USA ein Patent auf eine CRISPR-Cas-Methode angemeldet, womit Honigbienen die Fähigkeit erlangen sollen, sich an „Neonicotinoidbelastungen anzupassen“[1]. Hierzu sollen Honigbienen mit gentechnisch generierten, neonicotinoidabbauenden Bakterien geimpft werden. 2019 untersuchte eine koreanische Publikation, ob Bienen mittels CRISPR-Cas Resistenzen gegen das Insektizid Spinosad, das zum Beispiel zur Bekämpfung von Kartoffelkäfern eingesetzt wird, erlangen können[2]Varroabekämpfung durch Gentechnik? Seit Jahrzehnten befassen sich Imkerschaft und Bienenforschung mit den Problemen, die die Varroamilbe als Parasit der westlichen Honigbienen mit sich bringt. Die blutsaugende Milbe schwächt die Bienen und macht sie anfälliger für Virusinfektionen. Ein im Januar 2020 im Magazin „Science“ veröffentlichter Artikel beschreibt Erfolge bei der Bekämpfung der Varroamilben und Virussekundärinfektionen durch die gentechnische Veränderung des natürlich bei Bienen und Hummeln vorkommenden Darmbakteriums Snodgrassella alvi[3]. Bakterien können grundsätzlich schnell mutieren und durch „horizontalen Gentransfer“ Erbgut austauschen. Daher ist nicht auszuschließen, dass gentechnisch veränderte Bakterien auf andere Insekten, Tiere oder gar Menschen übertragen werden können. Nicht vorhersehbar ist auch, ob diese Bakterien außerhalb des Darms überleben. Anwendungen von gentechnisch veränderten Bakterien in Honigbienen sind teilweise im fortgeschrittenen Laborstadien. Die Freisetzung dieser gentechnisch veränderten Darmbakterien ist aus den beschriebenen Gründen nicht zu verantworten. Wirtschaftliche Interessen Der ökonomische Wert der Bestäubungsleistung von Insekten ist nur sehr schwer zu quantifizieren. Der Weltbiodiversitätsrat der Vereinten Nationen beziffert ihn auf 235 bis 577 Milliarden US-Dollar jährlich. Abgesehen von Bestäubungsprämien, die Imker*innen für das Aufstellen ihrer Völker in bestimmten Kulturen erhalten, bleibt dieser Wert fiktiv. Bestäubung ist bisher nicht durch Agrarkonzerne kontrollierbar. Ein erster Schritt zu deren Kontrolle sind Patente auf gentechnisch herbeigeführte Eigenschaften der Bienen, wodurch Unternehmen Zugriffsrechte auf die Honigbiene als bedeutendste Bestäubungsdienstleisterin, sowie auf Imkereierzeugnisse erhalten. Aufgrund des großen Flugradius in dem sich Honigbienen vermehren (sie befliegen aktiv ein Gebiet von etwa 3.000 Hektar), wären mögliche Patentklagen und Regressansprüche von Konzernen gegen Imker*innen eine mögliche Gefahr für die Bienenhaltung. Es darf deshalb keine Patente auf Lebewesen wie die Biene geben. Wirksame Grenzen setzen Auch im Interesse der Bienen muss der Gentechnik, insbesondere ihren neuen Methoden, wirksame Grenzen gesetzt werden. Während die EU-Gentechnikgesetzgebung und das Gentechnik-Grundsatzurteil des EuGH derzeit die Beachtung des Vorsorgeprinzips und der Wahlfreiheit gewährleisten, droht politisch eine Deregulierung neuer Gentechnik. Um die Biene und ihren Lebensraum vor den unkalkulierbaren Folgen von Gentechnik-Freisetzungen und Deregulierung zu schützen, hat die Aurelia Stiftung eine Kampagne initiiert und sammelt hierfür Unterschriften auf der Website www.biene-gentechnik.de. Nur wenn jede Gentechnik streng risikogeprüft und klar gekennzeichnet ist, können auch Imker*innen zukünftig gesunde, gentechnikfreie Produkte garantieren und selbst sicher sein, dass sie nicht zur Kontaminationsquelle werden.
      [1]      patents.google.com/patent/US20190022151A1/en       [2]      s-space.snu.ac.kr/handle/10371/150961       [3]      science.sciencemag.org/content/367/6477/573
25.09.2020
Von: Johann Lütge-Schwienhorst, Aurelia, Artikel Unabhängige Bauernstimme (10/2020)