Blankoscheck für neue Gentechnik-Pflanzen?

EU-Kommission will Gentechnikregulierung abschaffen

Wenn diese Zeitung in den Druck geht, will die EU-Kommission ihren Gesetzesvorschlag zu den neuen Gentechnik-Verfahren offiziell vorstellen. Im Vorfeld wurde der Vorschlag geleakt und stark kritisiert. Denn geplant ist, dass zukünftig die meisten NGT-Pflanzen ungekennzeichnet und unkontrollierbar im Saatgut, der Lebensmittelerzeugungskette und der Umwelt landen. „Das wäre das Aus der gentechnikfreien Landwirtschaft – konventionell und ökologisch,“ kommentierte die AbL und forderte die EU-Kommission auf, den Gesetzesentwurf zurückzuziehen. Andere gentechnikkritische Verbände stießen ins gleiche Horn.

 3 Gentechnik-Kategorien geplant

Der Gesetzesentwurf bezieht sich auf neue Gentechnik (NGT)-Pflanzen. Es soll zukünftig drei Kategorien geben: Kategorie 3 sind transgene Gentechnik-Pflanzen, also solche bei denen „artfremde Gene“ in das Genom eingebracht wurden. Nur noch diese sollen nach bestehendem EU-Gentechnikrecht reguliert werden.

Die Kategorie 1 soll NGT-Pflanzen umfassen, die „auch natürlich oder durch konventionelle Züchtung“ erzeugt werden könnten. Das Kriterium sollen bis zu 20 „kleine“ Veränderungen am Erbgut sein. Damit könnten  Gene ein- und ausgeschaltet oder in ihrer Funktion verändert worden sein. Schon eine einzelne kleine Veränderung kann dabei große Wirkungen im Organismus haben. Diese Einteilung ist wissenschaftlich fragwürdig.

Die NGT-Pflanzen der Kategorie 1 sollen von der  Regulierung nach Gentechnikrecht komplett ausgenommen werden. Das bedeutet: Keine Risikobewertung, kein Zulassungsverfahren, in dem die Mitgliedstaaten ihr Votum abgeben können. Damit entfiele auch die bisherige Nulltoleranz für nicht zugelassene GVO in Saatgut, Lebens- und Futtermitteln. Es soll lediglich ein Melderegister geben und eine Kennzeichnung am Saatgutsack. Mehr nicht. Für NGT-1-Pflanzen gäbe es keine verpflichtende Kennzeichnung entlang der Erzeugerkette. Gentechnik-Anwender:innen müssten keine Nachweisverfahren mehr liefern. Damit würde eine Rückverfolgbarkeit oder Rückholbarkeit ausgeschlossen. Die Transparenz über den Anbauort, ob kommerziell oder zu Experimenten, wird abgeschafft. Anbau- und Koexistenzregeln, die Gentechnik-Kontaminationen verhindern sollen, gäbe es nicht mehr und auch kein Monitoring. Haftungsregelungen zum Schadensausgleich bei Kontaminationen werden abgeschafft. Auch nationale Verbotsmöglichkeiten sollen entfallen, bspw. aufgrund später festgestellter Umweltgefahren oder aus sozio-ökonomischen Gründen. 

Solche NGT-1-Pflanzen würden völlig intransparent und unkontrollierbar in unser Saatgut, unsere Lebensmittelsysteme, Umwelt und auf unsere Teller gelangen. Das wäre ein kompletter Freibrief für Konzerne – Folgeschäden würden der Gesellschaft und uns Bäuer:innen aufgedrückt. Das ist inakzeptabel.

Sonderrolle Ökolandbau

Im Ökolandbau sollen solche NGT-1-Pflanzen laut Kommissions-Vorschlag weiter verboten sein. So sieht es auch die  EU-Öko-Verordnung vor und es ist Position der Öko-Verbände. Aber Achtung: Für den Ökolandbau soll es genauso wie im für die konventionellen Kolleg:innen keinerlei Möglichkeiten geben, Kontaminationen zu verhindern, weil alle Maßnahmen zur Rückverfolgbarkeit, zum Schutz vor Einträgen und Haftungsregelungen abgeschafft werden sollen. Selbst wenn der Ökolandbau sich eine eigene Kette aufbauen würde, was extrem teuer und aufwendig wäre, würde das nicht weiterhelfen. Kontaminationen der gentechnikfreien Erzeugung sind vorprogrammiert, wenn niemand weiß, ob auf den Nachbarfeldern NGT-Pflanzen wachsen.

Kategorie 2

In Kategorie 2 würden jene NGT-Pflanzen fallen, die mit „gezielter Mutagenese oder Cisgenese“ erzeugt wurden und die quasi zwischen Kategorie 1 und 3 liegen. Klingt unkonkret, ist es auch. Solche NGT-2-Pflanzen sollen entsprechend ihres „Risikoprofils“ angepasst reguliert werden. Es gibt keine rechtliche Definition des neu eingeführten Begriffs „Risikoprofil“. Vorgesehen ist, dass auf Grundlage der Angaben der Antragsteller:innen (!) Risikoprognosen erstellt werden. Nur bei „plausiblen Hinweisen“ auf Risiken, soll eine umfas­sende Risikobewertung erforderlich sein. Betrachtet werden sollen nur die „beabsichtigten“ Veränderungen. Auch das ist ein Paradigmenwechsel, weil so mögliche „unbeabsichtigte“ Veränderungen im Genom oder Stoffwechsel nicht mehr untersucht werden müssen, obwohl erfahrungsgemäß auch hier unerwartete Effekte für den Organismus selber und entsprechend für Mensch, Tier oder Umwelt entstehen können.

Entsprechend ihres „Risikoprofils“ sollen solche NGT-2-Pflanzen ein „angepasstes“ Zulassungsverfahren durchlaufen. Neben der abgeschwächten Risikoprüfung soll ggf. die im bisherigen Gentechnikrecht verankerte Pflicht zur Vorlage eines Nachweisverfahrens entfallen, sofern die Antragsteller:innen „belegen“, dass ein derartiger Nachweis technisch nicht möglich sei. NGT-2-Pflanzen sollen weiterhin als Gentechnik-Produkte gekennzeichnet werden müssen. Zusätzlich können bei solchen Pflanzen die durch Gentechnik erzeugten Merkmale oder Eigenschaften angeben werden. Ob ein zusätzliches „Nachhaltigkeitslabel“ eingeführt wird (möglicher­weise anstatt Gentechnik-Kennzeichnung) bleibt im Leak offen.

Souveränität der Mitgliedstaaten, Regionen und des Parlaments untergraben

Der Gesetzestext ist als Verordnung geplant, statt wie bisher eine Richtlinie. Verordnungen müssen grundsätzlich direkt in den Mitgliedstaaten umgesetzt werden. Sie hätten keine Möglichkeit mehr, eigene Maßnahmen, bspw. im Falle einer anderen Einschätzung des Risikos, zu erlassen. Den Mitgliedstaaten soll auch die Opt-Out Möglichkeit für NGTs entzogen werden, also Verbotsmöglichkeiten aufgrund von sozio-ökonomischen Gründen. Zudem sollen sämtliche zukünftige Ände­rungen der Verordnung  allein durch die Kommission vorgenommen werden. Bei solchen „Delegierten Rechts­akten“ haben das Europäische Parlaments und die Mitgliedstaaten kein Mitspracherecht und würden bei  künftigen Entscheidungen außen vorgelassen.

Koexistenz wird abgewälzt

Für Koexistenz sollen die Mitgliedstaaten zuständig sein, sie sollen Maßnahmen zur Vermeidung einer Kontamination von gentechnikfreien Erzeugnissen mit NGT-Pflanzen entwickeln. Allerdings werden die Voraussetzungen hierfür: Verpflichtende  Nachweisverfahren, Rückverfolgbarkeit, Standortregister, Anbau- und Haftungsregelungen sowie die Umsetzung des Verusacher:innenprinzips und das Monitoring immens eingeschränkt bzw. abgeschafft.

Vorschlag komplett zurückzuweisen

Die AbL hält den Gesetzesentwurf der EU-Kommission für verantwortungslos, da er eine nahezu vollständige Deregulierung neuer Gentechnik-Pflanzen vorsieht. Das wäre das Aus der gentechnikfreien konventionellen und ökologischen Landwirtschaft. Das Recht auf gentechnik­freie Erzeugung und das in der EU geltende Vorsorgeprinzip würde ausgehebelt. Die Gentechnik-Konzerne bekämen einen Blankocheck, sie könnten ihre Gentechnik-Pflanzen ungeprüft, intransparent und unkontrolliert in unser Saatgut, auf unsere Äcker und Teller bringen. Sie könnten sich ihre Profite sichern - für abzusehende Folgeschäden der Risikoprodukte müssten letztendlich die Bäuer:innen und die Gesellschaft aufkommen. Bäuer:innen, Züchter:innen, Verarbeiter:innen und der Handel hätte keinerlei Möglichkeiten mehr unser Saatgut, unsere Ernten und Produkte vor Gentechnik-Kontaminationen zu schützen, weil Kennzeichnungspflicht, Rückverfolgbarkeit und Haftungsansprüche abgeschafft werden sollen, ebenso Standortregister und Anbauregelungen. Auch die Wahlfreiheit wäre passé, wir könnten nicht mehr selbstbestimmt entscheiden, was wir züchten, anbauen, verarbeiten und essen. Der Verbraucher:innenwunsch, sich auch weiter gentechnikfrei zu ernähren, wird missachtet. Deshalb fordert die AbL eine Zurückweisung des Gesetzesentwurfs.

Klarer Fall für ein Ampel-Nein!

Die Ampel-Parteien zeigten sich uneins. Während das von der FDP geführte Bundesforschungsministerium grundsätzliche Unterstützung signalisiert, warnte der grüne Abgeordnete Karl Bär vor dem „Ende der ökologischen Landwirtschaft“. Nach Einschätzung des SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch  wäre dies „das Ende der Wahlfreiheit für Verbraucherinnen und Verbraucher und für die gentechnikfreie Lebensmittelwirtschaft. Denn die neuen Gentechniken kämen ohne Kennzeichnung in die Lebensmittelkette und auf die Teller (…) Das macht die SPD nicht mit.“

Das wird eine spannende Auseinandersetzung. Alle Parteien sind gefragt, klar Stellung zu beziehen – im Europaparlament und in den Mitgliedstaaten. Bäuer:innen und die gesamte Zivilgesellschaft sind gefragt, aktiv zu werden, damit diese Pläne nicht durchkommen. Packen wir es an!

 

 

12.07.2023
Von: Annemarie Volling, Unabhängige Bauernstimme, Juli 2023