Ich habe mich entschlossen, diesen Artikel zu schreiben, um angesichts der Angst und Verwirrung, die gerade viele umtreibt, zu versuchen, eine Stimme der Ermutigung und des Zusammenhalts und auch eine Stimme aus der Landwirtschaft einzubringen. Warum ich als Landwirtin schreibe, hat eine einfache Erklärung: Wenn wir als Gesellschaft unter einen solch immensen Druck geraten, der ganz existenzielle Fragen aufwirft, wie die Verbreitung des Covid-19 Erregers es gerade tut, müssen wir uns auf das zurückbesinnen, was wir in einer solchen Krise tatsächlich brauchen. Wir müssen überlegen, wie wir gemeinsam und für alle auch in schwierigen Zeiten agieren. Das Essenzielle ist in meinen Augen vor allem die medizinische Versorgung, die Versorgung mit gesunden und ausreichenden Lebensmitteln, sowie einem transparenten und für alle verständlichen Informationsfluss.
Der Text wird sich unter anderem mit möglichen Gründen für den Ausbruch von Epidemien wie Corona beschäftigen, womit zunächst strukturelle Fragen aufgeworfen sind, um dann zu praktischen Überlegungen zu kommen. In diesem Zusammenhang wird es darum gehen, wie wir uns gegenseitig helfen können und was dabei aus Sicht der regionalen Landwirtschaft wichtig ist, deren Aufgabe vor allem darin besteht, ihren Teil zur Lebensmittelversorgung beizutragen.
Es geht darum, mit welchen Fragen wir uns meiner Ansicht nach in irgendeiner Form notwendigerweise auseinandersetzen müssen. Es macht wütend, wenn mächtige Menschen in Politik, Wirtschaft und Staaten die Krise nutzen, um persönlich-politische Agenden voranzutreiben. Gleichzeitig ist es auch keine Überraschung. Schnell werden Wirtschaftshilfen für Großkonzerne versprochen, während gleichzeitig die Last der ausfallenden Arbeit von den ArbeiterInnen getragen wird. Eine gegen die Bevölkerung gerichtete politische Agenda kann es – auch jenseits von Corona - sein, an einem System festzuhalten, das keine Krankenversicherung für alle vorsieht, wie es zum Beispiel die U.S.-Regierung tut. Das und eine womöglich fehlende arbeitsrechtliche Absicherung haben zur Folge, dass viele Menschen es nicht wagen sich testen zu lassen oder trotz Krankheit weiter arbeiten gehen. Repressive Regime und einige neoliberale westliche Regierungen haben häufig die Anfänge von Corona in ihren Ländern geleugnet oder die Gefahr hinuntergespielt und damit dazu beigetragen, dass eine Ausbreitung in viel größerem Ausmaß stattfinden konnte, ohne dass Maßnahmen ergriffen wurden.
Um auch meine politische Agenda vorweg zustellen: Auch, wenn ich persönlich Bio-Landwirtin bin, geht es in diesem Artikel explizit nicht darum, den von mir favorisierten Ökolandbau voranzubringen, sondern um uns alle in der regionalen Landwirtschaft.
Eine Krise, wie die, mit der wir uns jetzt konfrontiert sehen, führt uns mehr als deutlich vor Augen, dass vieles, worin wir uns als selbstverständlich eingerichtet haben, auch schnell ins Wanken geraten kann. Die Frage nach den systematischen Zusammenhängen muss schon lange gestellt werden. Wer das bis jetzt noch nicht verstanden hat, kann vielleicht gerade in der aktuellen Krise deutliche Hinweise dafür sehen. dem ist nicht mehr zu helfen.
Die LandwirtInnen machen seit Jahren auf ihre prekäre wirtschaftliche Lage aufmerksam. Der Verlust von mehreren tausend meist mittelständischen Familienbetrieben in Deutschland jedes Jahr und seit Jahrzenten und der Trend zu immer konzentrierteren landwirtschaftlichen Einheiten, sowie dem vor- und nachgelagerten Bereich sind Entwicklungen, denen wir bisher als Berufsstand meist allein gegenüberstehen und für die wir wenig gesellschaftliche Aufmerksamkeit bekommen. Das Prinzip „wachse oder weiche“ betrifft unsere Branche in besonderem Maße und ist schon lange bittere Realität. Das bedeutet für viele von uns Verlust und Armut, ungezählte persönliche Schicksale von Bauern und BäuerInnen. In Frankreich ist in der Bauernschaft durchschnittlich ein Selbstmord pro Tag zu verzeichnen.
Wir wissen, dass unsere Märkte in einem unglaublichen Maß abhängig sind von einem Warenfluss, der stets wachsen muss. Die freie Marktwirtschaft kreiert eine Intensivierung der Landwirtschaft, der BäuerInnen zum Opfer fallen und im selben Atemzug Natur, Umwelt, Artenvielfalt.
Während unsere regionale Landwirtschaft in Europa, in Deutschland und in Brandenburg zunehmend den Charakter der bäuerlichen Landwirtschaft verloren hat und wir als BäuerInnen somit unsere Existenz, bedeutet dies auch, dass wir in eine Situation gedrängt wurden, in der viele BerufskollegInnen nur überleben können, wenn sie sich dieser Art von Produktion anschließen und ebenso in die Intensivierung gehen. Zunehmend wurde in unserer Region eine Landwirtschaft kreiert, in der LandwirtInnen für den Weltmarkt produzieren und nicht für die regionale Versorgung. Mit allen Nachteilen, die es auch für sie selbst bedeutet:
Die Abnehmerpreise sind inzwischen so schlecht, dass selbst Betriebe mit einigen hundert Milchkühen nicht mehr aufrechterhalten werden können. Der Ackerbau in Brandenburg bringt kaum noch einen Gewinn, die fehlenden Weiterverarbeitungsstrukturen in der Region bedeuten, dass es für viele Produkte gar keine Abnahme gibt oder die wenigen Abnehmer im Handel durch ihre Marktmacht einfach die niedrigsten Preise festlegen können. Wo diese Art von Marktkonzentration stattfindet, geht es Landwirtschaftsbetrieben automatisch schlecht, aber auch der Biodiversität. Es kann keine breite und vielfältige Fruchtfolge auf den Äckern Brandenburgs geben, wenn es nicht auch eine ebenso breite und vielfältige Abnahmestruktur gibt.
Anstatt unsere regionale Landwirtschaft zu stärken, wurde auf Import gesetzt. Vieles, was hier angebaut werden könnte, wird billiger von woanders importiert. Vieles, was wir im Laden als selbstverständliches Angebot betrachten, wird jeden Tag mit Containern über das Meer, über die Straße, über die Gleise und sogar durch die Luft zu uns gebracht.
Wir importieren uns also tagtäglich die Früchte ausgebeuteter Arbeitskraft anderer und gleichzeitig den Verlust unserer eigenen Betriebsstrukturen. Um nur zwei Beispiele zu nennen, die auch den meisten nicht-LandwirtInnen bekannt sind: anstatt ausreichend heimische Leguminosen anzubauen, importieren wir 3 Millionen ha Soja für die Tierproduktion jährlich allein aus Lateinamerika. Anstatt auf heimische Ölfrüchte zu setzen, gibt es kaum noch Produkte, die kein Palmöl enthalten.
In Bezug auf Covid-19 wird hitzig diskutiert ob es das Gürteltier oder die Fledermaus waren, die uns den Virus brachten. Das alleinige Betrachten des Ursprungswirt, über den der Virus zu uns gelangt ist, greift allerdings viel zu kurz. Die Frage ist, warum sich diese Art von Infektionskrankheiten häufen und warum sie sich so rasend schnell über dem Globus verbreiten können.
Wie sie sich verbreiten, ist bereits genügend bekannt und muss an dieser Stelle vermutlich nicht noch einmal erwähnt werden. Wir wissen, dass unser Planet jeden Tag millionenfach umrundet wird von Reisen und Transporten.
Gerade hier sind die Zusammenhänge zu Infektionskrankheiten, wie die, die sich zunehmend entwickeln, nicht zu leugnen:
Es gibt die Art der Krankheiten, die durch Tiere in der landwirtschaftlichen Produktion übertragen werden, wie die Vogel- oder Schweinegrippe, aber auch MERS-Cov und andere Corona-Viren, die es in der Vergangenheit gab. Ich erwähne beide, da es mir wichtig ist, sachlich und ohne Pauschalaussagen zu argumentieren. MERS-Cov hatte seinen Ursprung bei Kamelen und Dromedaren in der Übertragung auf den Menschen und nicht in der intensiven Tierhaltung. Allerdings hat das auch bedeutet, dass diese gefährliche und tödliche Erkrankung sich nicht so rasant verbreitet hat und die Fallzahlen relativ gering geblieben sind. Vogel- oder Schweinegrippe sind Erkrankungen, die in der Ausbreitung viel gefährlicher sind, da es sich um Tierarten handelt, die intensiv gehalten und produziert werden, unter Bedingungen, die die genetische oder gesundheitliche Resistenz der Tiere kaum noch gewährleistet. Intensive Tierhaltung stellt eine große Gefahr da, ganz abgesehen von den moralischen Implikationen.
Neuerdings kommt es auch immer häufiger dazu, dass gefährliche Infektionserkrankungen durch Viren von Wildtieren auf den Menschen übertragen werden. Doch auch hier spielt die Art, wie wir global Landwirtschaft betreiben und mit Land und natürlichen Habitaten umgehen, eine zentrale Rolle. Ein Beispiel für eine solche Infektionskrankheit ist das Nipah-Virus, das in Malaysia zu einer gefährlichen Epidemie mit 70%-iger Mortalitätsrate beim Menschen führte. Sie konnte nur mit drastischen Maßnahmen – Keulung von über einer Million Schweinen, also über der Hälfte des Malayischen Schweinebestands – eingedämmt werden konnte.
Das Nipah-Virus lässt sich wie viele andere Krankheiten zurückverfolgen: Ursprung war die Fledermaus. Diese Fledermäuse hatten jedoch ihr eigentliches Habitat in den Urwäldern Indonesiens. Nachdem Indonesien für die Palmölproduktion drei Viertel seiner Wälder gerodet hatte, waren die heimatlos gewordenen Fledermäuse auf die Fruchtbaumplantagen des benachbarten Malaysia umgesiedelt. Hier wurden die Schweine infiziert und primär über MitarbeiterInnen in den Schlachthöfen dann auch andere Menschen. Indem der Mensch das labile Gleichgewicht der Ökosysteme gefährdet, verändert er auch die Übertragungsketten der Viren.
Wie der Evolutionsbiologe Rob Wallace1 gut beschreibt, ist jeder weitere Ausbruch von Covid-19 kein isolierter Vorgang. Die sprunghafte Zunahme und Verbreitung dieser Art von Viren ist eng verbunden mit der Art, wie wir unsere globale Lebensmittelproduktion gestalten und diese wiederum mit der Profitorientiertheit multi-nationaler Unternehmen. Elementarer Bestandteil von deren Funktionieren sind die rasenden Flüsse von Waren und Menschen rund um den Globus. Wie Rob Wallace weiterhin beschreibt, ist es heutzutage kein weiter Weg mehr von der Fledermaus im Hinterland eines Kontinentes bis „zum Tod von sonnenbadenden Menschen in Miami“.
Auch die von Wildtieren übertragenen Infektionen kommen häufig erst aus vormals tief in natürlichen Habitaten verborgenen Erregern zum Menschen, weil der Mensch zu ihnen vordringt. Die genetische Vielfalt ist durch die agrarindustrielle Intensivierung einzelner Tierarten und -Rassen, sowie durch die Zerstörung der Habitate natürlicher Bio-Diversität zunehmend eingeschränkt, dass einer Verbreitung dieser Art von Viren immer weniger bremsende Wirkung entgegensteht.
Wie Professor Rodolphe Gozlan2, Forschungsleiter am Institut für Entwicklungsforschung sagt, ist „Artenvielfalt nicht etwas, was sich der Mensch von außen betrachten kann. Er ist Teil dieser Vielfalt, ob er will oder nicht. Wir Wissenschaftler sind uns über eines im Klaren: der Schutz der Umwelt oder der Artenvielfalt ist keine romantische Ideologie, sondern hier besteht ein ganz konkreter Zusammenhang mit dem Kampf gegen die Infektionskrankheiten.“
Kurz gesagt: globaler Umweltschutz ist auch globaler Gesundheitsschutz.
Eine Antwort hierauf kann in meinen Augen nur wirkliche Solidarität sein. Der Ursprung der Krankheit, die Geschwindigkeit, mit der sie sich über den Globus verbreiten kann, ebenso wie unsere Möglichkeiten der Ausbreitung zu begegnen, sind nur in Verbindung anzugehen. Es kann nicht zielführend sein, die einzelnen Ausbrüche und Regionen nur reaktiv und sensationsgesteuert zu betrachten und zu behandeln.
Für mich als Landwirtin in der Region gehören die Tatsachen, dass wir vor Ort zu wenig für die Region produzieren, dass viele gut ausgebildete Fachkräfte in unserem Berufszweig für eine Vollzeitarbeit in der Landwirtschaft oft nur zwischen 1100-1300 Euro netto verdienen und dass die Betriebe trotz dieser Selbstausbeutung finanziell in Knie gehen, zusammen. Ebenso gehört für mich in die gleiche Diskussion der Solidarität, dass schlechtbezahlte Reinigungskräfte im Subunternehmen der Charité Berlin jetzt ihren Streik unterbrechen mussten, weil ihre Arbeit so unglaublich wichtig ist – gerade angesichts der Corona-Epidemie. Ihr Streik wurde aus Sicherheitsgründen unterbrochen. Bei all der Diskussion über Corona und die Folgen, sehe ich jedoch nirgendwo eine Diskussion darüber, dass sofort alle diese Menschen, die jeden Tag für unsere Versorgung da sind viel höhere Gehälter als Anerkennung bekommen sollten und im Falle dieses Ausbruchs eventuell sogar noch eine Gefahrenzulage.
Die neoliberale Umgestaltung unseres Gesundheitssystems nach Fallpauschalen, die dazu geführt hat, dass ein so wohlhabendes Land wie Deutschland nun womöglich nicht über genügend Überkapazitäten verfügt, ist nichts anderes, als das, was wir in der Landwirtschaft und in vielen Bereichen der Arbeitswelt sehen. Ob es überarbeitete, müde, schlecht-bezahlte Pflegekräfte sind, denen womöglich Unfreundlichkeit vorgeworfen wird, weil sie kaum noch die Kraft haben, auf die vielen von ihnen zu versorgenden Menschen einzugehen, oder LandwirtInnen, denen pauschal schlechter Umgang mit Tieren oder der Natur angekreidet wird: Es geht im Kern um das gleiche Problem.
Tatsächlich: es wird oft lieblos mit Kranken und Alten umgegangen, sowie es auch zutrifft, dass oft fahrlässig mit Tieren, Böden und der Natur umgegangen wird. Das alles geschieht in Arbeits- und Vermarktungszusammenhängen, bei denen im Euro/Cent-Bereich abgerechnet wird. Dabei geht es eben auch um die Menschen, die in dem Bereich arbeiten. Wir kommen also nicht darum herum, die Frage nach den größeren Zusammenhängen zu stellen, und während wir das tun, sollte Solidarität die Grundlage sein. Adressaten für unsere Wut sind nicht die Arbeitenden, sondern diejenigen, die uns eine immer intensivere Produktion als die einzige Alternative verkaufen, uns in Abhängigkeiten von großen Unternehmen bringen. Diese und ihre Vorgaben wiederum sind die Verantwortlichen dafür, dass wir uns alle – sei es im globalen Norden oder im globalen Süden – abstrampeln für einen Weltmarkt, der uns offensichtlich auf regionaler wie auf globaler Ebene nichts als Leid und Elend einbringt.
Die Agrarindustrie ist derart blind profitorientiert, dass in den stets kurzfristig gedachten Entscheidungen unter dem ausschließlichen Kriterium der Profitmaximierung auch der „Kollateralschaden“ solcher Entscheidungen derart verheerend sein kann, wie wir es derzeit erleben: Ein Virus ist – nicht von ungefähr – entstanden, eine Pandemie, die unabsehbar viele Menschen das Leben kosten kann. Covid-19 hat jetzt schon wirtschaftliche Folgen, die selbst diese Profite und – viel wichtiger! – alles, was unsere Leben angeht, umfassend in Frage stellt. Solange „der Laden“ ungestört durch das Virus lief, wurden die externalisierten Kosten quasi klaglos und unbemerkt getragen von den Tieren, der Umwelt, den landwirtschaftlichen ArbeiterInnen, den KonsumentInnen, dem Staat, dem Gesundheitswesen und vielen mehr. Sie wurden bisher nie den landwirtschaftlichen Betriebskosten zugerechnet, und die Verantwortlichen mussten nie dafür aufkommen. Wäre dies geschehen, würde es diese Form der Agrarindustrie überhaupt nicht geben. Das wird auch jetzt mit den immensen Kosten, die der Corona-Ausbruch verursacht, nicht der Fall sein. Die werden am Ende wir schultern müssen.
Umso mehr sollten wir die derzeitige Krise zumindest als Chance sehen, diese Ungerechtigkeiten ein für alle Mal in Frage zu stellen und nach Wegen zu einer tiefgreifenden Veränderung zu suchen – gemeinsam. Rassistische Ausgrenzungen können in dieser Diskussion keinen Raum haben. Wer sich darauf einlässt, hat strukturell nichts verstanden, ganz abgesehen davon, dass er die Gewalt, die Rassismus darstellt, billigend in Kauf nimmt. Gesunde Lebensbedingungen, gute Lebensmittel und medizinische Versorgung sind ein Recht für alle. Hinzu kommt, dass der Virus diese Grenzen nicht kennt. Wer also in diskriminierender Ausgrenzung andere verdrängen will hat nicht verstanden, dass die Gefahr somit selbst zu erkranken exponentiell damit steigt, desto schlechter diese „anderen“ in unserer globalen Gesellschaft versorgt sind. In Bezug auf Krankheiten und Epidemien wurden und werden immer wieder marginalisierte Menschen stigmatisiert, Opfer von Angriffen oder in der systembedingt unvermeidlichen barbarischen Konkurrenz um die knapper werdenden Ressourcen als Bedrohung dargestellt. Um es kurz in Bezug auf einige der Infektionskrankheiten der jüngeren Geschichte aufzuzeigen: Anti-chinesischer Rassismus im Zusammenhang mit der Corona-Epidemie ist ebenso falsch, wie es richtig ist daran zu erinnern, dass die verschiedenen Vogel- und Schweinegrippen ihren Ursprung in Europa und den U.S.A. hatten und auch hier die Regierungen die Agrarindustrie, die dafür verantwortlich war, gedeckt haben. Regional ausgebreitete Krankheiten wie Ebola in West-Afrika und Zika in Brasilien wurden durch post-kolonialistische Armuts- und Abhängigkeitsverhältnisse der multinationalen Ausbeuter maßgeblich begünstigt.
Wir müssen versuchen sicherzustellen, dass auch in einer möglichen Krisensituation alle Menschen in der Bevölkerung Zugang nicht nur zu haltbaren Trockenwaren haben, sondern ebenso zu vitaminreichen frischen Produkten. Vor allem Obst und Gemüse liefern auch die lebenswichtige Immunkraft, bedeuten die wir mehr denn je brauchen. Sollten Importe ausfallen, werden diese Produkte knapp und es wird zuallererst die ärmeren Bevölkerungsgruppen treffen, die den Zugang dazu verlieren. Wir müssen diskutieren, wie wir sicherstellen, dass wir nicht nur profitorientiert entscheiden, wer was bekommt, sondern Strukturen schaffen, die auch auf Solidarität basieren.
Spätestens jetzt angesichts der Covid-19-Pandemie muss klar werden, wie wichtig die regionale Landwirtschaft ist. Die Krise muss zum Anlass genommen werden, kurzfristig sicherzustellen, dass Betrieben alle notwendigen Mittel zur Verfügung gestellt werden, um weiter zu existieren und zu arbeiten. Dies muss auch durch gesicherte Abnahmepreise umgesetzt werden, sowie durch eine Schaffung von Weiterverarbeitungs- und Verteilstationen. TransportfahrerInnen und VerkäuferInnen die sich um die Distribution bemühen, müssen ordentlich entlohnt werden. Sie gehören ebenso wie die in der Reinigung, den Rettungsdiensten, in der medizinischen Versorgung und vielen anderen Bereichen arbeitenden zu denen, die dafür sorgen, dass wir alle durch diese schweren Zeiten kommen werden.
Langfristig muss klar werden, dass es regionale Wertschöpfung ist, die uns alle schützt. Es muss verstanden werden, dass die Grundlage unserer Ernährung, die landwirtschaftlichen Böden in die Hände von regionalen BäuerInnen gehören und nicht in die Hände von InvestorInnen und überregionalen oder nicht-landwirtschaftlichen Unternehmen. Dies muss für unsere Region gelten wie für alle anderen Regionen des Globusses (oder: alle anderen Regionen weltweit). Landwirtschaftliche Nutzflächen dürfen nicht Spekulationsobjekt sein, nicht hier und auch nicht im globalen Süden.
Wir brauchen ein agrarstrukturelles Leitbild und daraus folgende Konsequenzen, die dazu führen, dass eine Vielzahl junger, nachhaltiger und mittlerer Betriebe in unserer Region entstehen können. Wir brauchen eine gezielte Förderung für Ausbildungen im weiterverarbeitenden Lebensmittelhandwerk und Schaffung einer Vielzahl von Betrieben auch in diesem nachgelagerten Sektor. Es kann nicht sein, dass ein Fehlen für ganze Produktarten in der Weiterverarbeitung dazu führt, dass sie in der Region kaum noch auf dem Acker vorkommen. Es kann auch nicht sein, dass die Marktmacht von wenigen Molkereien oder Schlachtbetrieben dazu führt, dass die Versorgung der Bevölkerung im Zweifelsfall nicht sichergestellt ist oder die LandwirtInnen durch den aus der Konzentration resultierenden Preisdruck am Rande ihrer Existenz agieren.
Ebenso wie wir lokal agieren und global denken müssen, müssen wir es jetzt bei dem Ausbruch dieser bedrohlichen Erkrankung schaffen, kurzfristig solidarisch und langfristig solidarisch zu agieren. Langfristig heißt die Strukturfrage zu stellen und konkret anzugehen. Ansonsten wird es dabei bleiben, dass der Ausbruch von Covid-19 als isoliertes Geschehen behandelt und gesehen wird. Wir werden den Schmerz von Verlust und Trauer ertragen, wir werden im besten Fall gut aufeinander Acht geben und danach wird politisch und medial zum unspektakulären Alltag der Ungerechtigkeit zurückgekehrt -bis zur nächsten Katastrophe.
Kurzfristig heißt, zu sehen, wie wir uns nun als Gemeinschaft verhalten können. In Städten und Gemeinden entstehen jetzt schon nachbarschaftliche Initiativen zur gegenseitigen Unterstützung. Kinderbetreuung, Einkäufe, Fahrten und vieles mehr wird sich solidarisch angeboten.
Wir als LandwirtInnen der Region werden alles dafür tun, unsere Aufgabe in dieser Zeit für alle zu erfüllen. Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, werden wir sicherlich auch manche Unterstützung brauchen.
Wir brauchen die Einsicht, dass eine weitere schnelle Ausbreitung des Virus, wenn sie uns betrifft und krank macht, auch zu Arbeitsausfällen in unserem Sektor führen kann. Das wiederum würde die Versorgung der Region belasten. Es geht bei dieser Anmerkung also in keinem Fall darum, dass wir größeren Schutz als alle anderen fordern, oder in irgendeiner Form gefährdeter sind. Es geht aber darum, uns im Zweifelsfall zu überlegen, wie wir in allen Bereichen der Wertschöpfungskette von Produktion auf unseren Höfen, über Weiterverarbeitung bis hin zur Verteilung von Lebensmitteln das Ansteckungsrisiko möglichst gering halten zu können.
Es geht auch darum, im Zweifelsfall zu überlegen, wie wir unsere Betriebe aufrechterhalten können, wenn die Wirtschaft um uns herum zerfällt. Wir alle in der Region sind schon aufgrund der letzten Dürrejahre massiv unter Druck geraten und nicht zuletzt aufgrund einer jahrzehntelangen verfehlten Agrarpolitik. In Deutschland gehen jedes Jahr tausende Landwirtschaftsbetriebe verloren. Die letzten Monate waren gekennzeichnet von den berechtigten Protesten tausender LandwirtInnen. Wir werden ebenso wie das Reinigungspersonal in der Charité unsere Proteste einstellen, damit wir für die Lebensmittel sorgen können, wenn jetzt diese schwierige Situation auf uns alle zurast. Viele, die Landwirtschaft machen, arbeiten schon lange mit einer großen Portion Idealismus und Selbstausbeutung in diesem Bereich. Unsere Arbeit wird als selbstverständlich genommen und ist es eigentlich schon lange nicht mehr. Sollte es durch den Ausfall von Importen zu Lebensmittelengpässen kommen, werden wir alles tun, um weiterhin und erst recht gute Lebensmittel für die Menschen in unserer Region zu produzieren.
Ich hoffe im Namen meines gesamten Berufsstandes sprechen zu können, wenn ich sage wir werden uns nicht in einer Situation von Mangel dazu hinreißen lassen, unsere Produkte nur noch Menschen mit den entsprechenden finanziellen Mitteln zugänglich zu machen. Wir werden dafür einstehen, dass Lebensmittel allen Menschen gleichermaßen zukommen, egal welchen Hintergrund an finanziellen Möglichen, Herkunft, Bildung, Sprache oder Kultur sie haben. Wir werden aus Solidarität arbeiten und nicht gewinnorientiert. Im Ernstfall werden wir noch dringlicher als ohnehin schon überlegen müssen, wie wir den sozialen Fragen rund um die Preise und Erreichbarkeit von Lebensmitteln begegnen, aber wir werden die Unterstützung der Gesellschaft dafür brauchen (mit oder ohne Corona).
Solidarische Grüße an euch alle:
An die im medizinischen Sektor Tätigen, inklusive und explizit auch an das Reinigungspersonal und in ähnlichen Bereichen lebenswichtige Arbeit Leistenden; an MitarbeiterInnen im öffentlichem Verkehr; im Transportwesen; im Handwerk; an die LebensmittelverkäuferInnen und ApothekerInnen; an Menschen im Bildungssektor, die sich darum kümmern, dass Bildung weiterhin auch Online zur Verfügung steht; an Menschen in der Kinderbetreuung; an die undokumentierten ArbeiterInnen; an arme Menschen; an einsame Menschen; an immunschwache Menschen; an Menschen mit Vorerkrankungen und ältere Menschen; an Menschen, die in Zusammenhängen gefangen sind, wo soziale Distanz zum eigenen Schutz nicht möglich ist, wie in überfüllten Flüchtlingslagern oder in Gefängnissen; an Kinder, die ihre FreundInnen nicht treffen und womöglich bald ganz lange nicht raus kommen zum Spielen – und an ihre Eltern; an obdachlose Menschen; an Menschen die nun ohne Besuch in Pflegeheimen, Krankenhäusern und Hospizen sind; an Menschen die an Corona erkranken und Menschen die Menschen in dieser Zeit verlieren, die sie lieben; an die Menschen die durch diese Situation in den finanziellen Ruin stürzen; an die Menschen, die psychische Erkrankungen haben oder mit der Angst, die so eine Situation verbreitet, ganz schwer umgehen können; an die ArbeiterInnen die gewerkschaftlich organisiert sind und die, die es nicht sind und natürlich ganz herzlich allen BerufskollegInnen in der Landwirtschaft. Julia Bar-Tal, Landwirtin aus Märkisch-Oderland, Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft Brandenburg.