Gentechnik-Anwendung ohne Kennzeichnung

Auch neue gentechnische Züchtungstechnologien ignorieren die Komplexität des Systems

Die EU-Kommission plant offenbar, so die Inhalte eines vorab geleakten Entwurfs, einen Großteil der mit neuen gentechnischen Züchtungsmethoden erzeugten Pflanzen von einer Kennzeichnungspflicht zu befreien. Handel und Konzerne dürften hier ganz entscheidend lobbyiert haben. Denn gerade für sie sind die unterschiedlichen Qualitätsstandards mit zusätzlichem Aufwand und Kosten im weltweiten Geschäft verbunden. Und schnell könnte man nach einem flüchtigen Blick auf die versprochenen Möglichkeiten durch die neue Gentechnik zu dem Schluss kommen, dass diese doch wirklich verlockend wären. Höhere Erträge, Schädlingsresistenzen und sogar Trockenheitsresistenz werden prognostiziert – und das alles durch kleinste Veränderungen des Genoms, Eingriffe, die „auch natürlich oder durch konventionelle Züchtung“ erzeugt werden könnten. Allerdings gibt es bisher keine Nutzpflanzen mit derartigen Eigenschaften, die durch konventionelle Züchtung erzeugt wurden. Bleibt dieses Kriterium damit eine hypothetische Annahme? Viel wahrscheinlicher ist, dass es eine bewusst schwammige, interpretationsfähige Formulierung ist, die möglichst wenige Einschränkungen erwarten lässt. Die angestrebten Profite der Unternehmen sind ein wesentlicher Treiber. Dafür genügt es, das immer gleiche Produkt im immer gleichen System mit einem vermeintlichen Zusatznutzen auszustatten.

Schnell und einfach

Die Genschere CRISPR/Cas verspricht, dass es in Zukunft ungemein viel schneller gehen kann, scheinbar immer neue Lösungen für die hausgemachten Probleme zu finden: Regenwaldrodung und intensive Landwirtschaft sind Treiber des Klimawandels? – Die Lösung: Trockenheitsresistenz. Enge Fruchtfolgen und maximale Erträge steigern den Schädlingsdruck? – Die Lösung: Insektenresistenz. So könnte man lange weitermachen. Von der Landwirtschaft käme man schnell zu gesellschaftlichen Fragen: Haben wir wirklich zu wenig zu essen auf dieser Erde oder ist der Hunger in vielen Regionen nicht ein gesellschaftliches Verteilungsproblem? Und werden die durch Patente geschützten Neuentwicklungen dann wirklich allen uneingeschränkt zur Verfügung stehen, wie es immer wieder impliziert wird? Erfahrungen aus der Vergangenheit mit Patenten und Gewinnen und Eigentumsrechten der Saatgutunternehmen zeichnen hier einen ganz anderen Weg. Die Landwirtschaft steht seit Jahren in der Kritik. Beeinträchtigte Ökosysteme, Verlust der Artenvielfalt und die Verschmutzung des Grundwassers werden ihr nicht ohne Grund vorgeworfen. Ein Grund für diese Entwicklungen der letzten 60 Jahre ist eine Fokussierung auf sehr wenige vermeintliche Erfolgsfaktoren, allen voran hohe Hektarerträge. Mit Unterstützung der chemischen Industrie und nicht zu deren finanziellem Nachteil sind hier gewaltige „Fortschritte“ erzielt worden. Vieles von dem, was heute Kritik hervorruft, wurde dabei einfach nicht beachtet oder bewusst ignoriert. Wie weit auch viele Bäuerinnen und Bauern,Landwirtinnen und Landwirte von der Natur, in der sie wirtschaften und von
der sie leben, entfernt sind, zeigte in diesem Jahr die Ökoregelung Vielfältiges Grünland. Viele taten sich schwer damit, die benannten Pflanzen zu finden; gekannt haben dürften sie die wenigsten.

Arbeiten nach Rezept

Ein Verständnis für das Ökosystem, in dem Landwirtschaft stattfindet, ist aber, wenn es nur um den kurzzeitigen, finanziellen Erfolg geht, auch nicht notwendig.,Mittels Dünger und Pflanzenschutz gelingt es, vermeintlich negative Umwelteinflüsse größtenteils zurückzudrängen. Doch verschwunden ist das
Ökosystem mit seinen Tieren und Pflanzen dadurch nicht. Was nicht zerstört wurde, passt sich an. Superunkräuter in den USA, aber auch hier bei uns, sind keine neuen Phänomene. Ein nachhaltiges Wirtschaften über Generationen sollte sich der Komplexität der Umwelt nicht entgegenstellen, sondern
sie erfahren und mit ihr arbeiten.

Der Sprung ins Kleine

Während die Gesellschaft und auch viele Bäuerinnen und Bauern diese Entwicklung kritisch hinterfragen, kopiert die Agrarindustrie auf dem Feld der Gentechnik genau dieses überkommene
System der Fokussierung. Es ist schon lange bekannt, dass die Zusammenhänge innerhalb der Zellen sehr komplex sind. Der Eingriff an einer Stelle ruft eine Vielzahl von oftmals unbemerkten Reaktionen der Zelle und Veränderungen im Stoffwechsel hervor. Diese aktiv zu suchen und zu erkennen, wäre Teil einer Risikoprüfung. Auf diese zu verzichten gleicht einer Gradwanderung mit verbundenen Augen.

Marcus Nürnberger

12.07.2023
Von: Marcus Nürnberger, Unabhängige BAuernstimme, Juli 2023