Kritik an Branchenlösung „Initiative Tierwohl“
Mit Kritik reagieren der Deutsche Tierschutzbund, der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) sowie die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) auf die „Initiative Tierwohl“ als sogenannte Branchenlösung.Die „Initiative Tierwohl“ wurde von Unternehmen der Fleischbranche und des Handels gegründet, um auf Probleme in der landwirtschaftlichen Tierhaltung zu reagieren. Die drei Verbände forderten vor Beginn der Ernährungsmesse ANUGA (ab 5.10.2013) die Träger der „Initiative Tierwohl“ auf, die bisher aufgestellten Kriterienkataloge zu überdenken und die Rolle von QS als Prüfsiegel klarzustellen. Zudem brauche es eine aussagekräftige, transparente Kennzeichnung der Produkte.
Die drei Verbände, die auch Träger des NEULAND-Vereins für tiergerechte und umweltschonende Nutztierhaltung sind, nutzten die gemeinsame Pressekonferenz am heutigen Welttierschutztag (4.10.2013) zudem dazu, von einer zukünftigen Bundesregierung gesetzliche Standards zu fordern, die für die gesamte Branche eine tier- und umweltschutzverträgliche bäuerliche Tierhaltung gewährleisten. Das Tierschutzgesetz müsse endlich von einem Tiernutz- zum Tierschutzgesetz umgestaltet und die gesetzlichen Standards der landwirtschaftlichen Tierhaltung deutlich angehoben werden, sind sich die Verbände einig. Dazu gehöre auch die Umstellung der Förderpolitik, die stärker als bisher auf Leistungen im Sinne des Tier- und Umweltschutzes und auf Stärkung kleinbäuerlicher Strukturen ausgerichtet sein müsse.
Thomas Schröder, Präsident des Deutschen Tierschutzbundes: „Wir brauchen ein neues Tierschutzgesetz, wir brauchen mehr Tierschutz in den Ställen und wir brauchen mehr begleitende Verbrauchertransparenz. Kurzum: Die deutsche Agrarpolitik braucht einen Systemwandel. Mit der „Initiative Tierwohl“ erkennt die Branche endlich die Probleme an, aber zur Lösung braucht es mehr.“
Hubert Weiger, Vorsitzender des BUND: „Verbraucher und Lebensmitteleinzelhändler sollten sich nicht in die Irre führen lassen von der neuen selbstgestalteten „Initiative Tierwohl“ der Unternehmen. Wie schon das Siegel Qualität und Sicherheit QS, freiwillige Vereinbarungen zu Puten und Industrie-Label einzelner Schlachthöfe gezeigt haben, dienen freiwillige Kennzeichnungen eher der Verbrauchertäuschung als dass sie Antibiotikamissbrauch und Qualzucht beenden. Auch die „Initiative Tierwohl“ ist vor allem Teil einer Imagekampagne, mit der Fleischkonzerne versuchen, das Leid von 67 Millionen Masthühnern und 30 Millionen Mastschweinen in Deutschland zu vertuschen. Erst ein besseres Tierschutzgesetz hilft gegen Tierleid und Antibiotikamissbrauch in der Massentierhaltung.“
Bernd Voss, Vorsitzender AbL, ergänzt: „‘Die Initiative Tierwohl‘ droht zu einem großen Täuschungsmanöver zulasten von Verbrauchern, Tieren und Bauern zu werden. Die Kunden werden nicht erkennen können, ob das Fleisch aus einer wirklich tiergerechten Haltung stammt. Die Mindestanforderungen bleiben weit zurück hinter der langjährigen Praxis einer artgerechten Tierhaltung wie beim NEULAND-Programm. Und die Bauern bleiben bei einer konsequent tiergerechten Haltung auf Kosten sitzen. Auch das Kartellamt wird hoffentlich Nachbesserungen verlangen.“
Bewertung der Initiative Tierwohl:
Das Ziel, in der Breite Tierschutzverbesserungen durchzusetzen und dem Landwirt, der sich an Fortschritten in der Tierhaltung beteiligt, mehr Geld zu erstatten und damit Tierschutz zu bewegen, teilen die Verbände. Sie stellten aber zugleich klar, dass die von der Branche als Lösung formulierte „Initiative Tierwohl“ – mit einem ungenügenden Basispaket aus Pflicht und Wahlkriterien - dem bisher noch nicht gerecht werde. Insgesamt käme es bisher nur zu geringen Verbesserungen im Hinblick auf die Haltung und kaum zu Verbesserungen gegenüber den aus Tierschutzsicht bisher unzureichenden gesetzlichen Vorgaben. So ist es etwa aus Tierschutzsicht unhaltbar sowie aus Umweltschutz- und Verbrauchersicht fragwürdig, dass bei Schweinen Raufutter, organisches Beschäftigungsmaterial wie Stroh, Verzicht auf Schwanzkupieren oder bei Geflügel die Besatzdichte als Wahlkriterien vorgesehen sind. Auf eine Kennzeichnung wollen die beteiligten Branchenvertreter der „Initiative Tierwohl“ offenbar verzichten, Billigpreisbewerbungen von Fleisch werden damit bleiben. Dabei sei Fleisch schon jetzt zu billig, so Schröder, Weiger und Voss übereinstimmend, das gehe zu Lasten der Tiere, der Umwelt und letztlich auch der Landwirte.
Die Verbände fordern die Branche auf, die Methodik der „Initiative Tierwohl“ im Grundsatz zu überdenken. Dabei müsse anders als bisher im Mittelpunkt stehen, dass die Haltungsbedingungen artspezifischen Verhaltensweisen und den daraus abgeleiteten Bedürfnissen des Tieres Rechnung tragen.
Tierhaltungssysteme müssten ganzheitlich betrachtet werden, denn Verbesserungen isoliert ausgewählter Teilaspekte führten nicht zwingend zu einem höheren Tierschutzniveau. Zudem müsse die Branche zwingend die Rolle von QS klären. Bisher sei QS ein Prüfsystem, aber eben kein Tierschutzsiegel, wie es jetzt mit der „Initiative Tierwohl“ offenbar suggeriert werde.
Mit scharfer Kritik reagieren die Verbände in dem Zusammenhang auf die von der „Initiative Tierwohl“ beabsichtigte Massenbilanzierung bei Schweinen.
Das führe dazu, dass der Verbraucher nicht mehr erkennen könne, ob das Produkt von einem Tier aus einer herkömmlichen Mast oder aus einer nach verschiedensten, bisher in der Summe, unzureichenden Kriterien veränderten Intensivhaltung stamme.
Kritik auch am REWE-Nachhaltigkeitssiegel „Pro Planet“ für Masthühner Den Weg der Massenbilanzierung führte das Unternehmen REWE mit der Tochter Penny bereits in der Eigenmarke bei Hähnchenprodukten ein. Die Produkte werden mit dem Nachhaltigkeitssiegel „Pro Planet“ gelabelt, aber kein Verbraucher kann sicher sein, dass sich in der Verpackung auch tatsächlich ein Produkt befindet, dass von einem Masthuhn aus einem „Pro Planet“-Stall stammt. Es kann auch ein Produkt aus einem herkömmlichen Intensivstall sein.
Zudem sind auch hier die Haltungsvorgaben nicht sehr ehrgeizig: Für das deutsche „Pro Planet-Hähnchen“ gelten z.B. max. 35 kg Besatzdichte, das ist knapp unter den gesetzlichen Standards. Am deutschen Markt gibt es bereits Projekte, die mit 25 kg-Besatzdichte auskommen. Die REWE-Verbraucherverwirrung wird noch komplettiert, indem das Unternehmen bei dem österreichischen „Pro Planet“ wiederum bessere Vorgaben als bei dem deutschen Nachhaltigkeitssiegel zulässt: In Österreich ist die Besatzdichte für „Pro Planet“ z.B. mit 25 kg maximal vorgeschrieben.