Kritik an Gentechnikkurs der EU-Kommission

EU-Umweltminister wollen Vorsorgeprinzip, Risikoprüfung, Rückverfolgbarkeit und Kennzeichnung sicherstellen

Auf Antrag von Österreich wurde das Thema „Neue Gentechniken“ auf das Ratstreffen der europäischen Umweltminister:innen Mitte März gesetzt. Sieben Länder haben sich sehr
kritisch zu den Plänen der EU-Kommission geäußert, das bestehende Gentechnikrecht
für neue Gentechnikverfahren (NGT) wie CRISPR/Cas aufzuweichen oder abzuschaffen. Die Grundpfeiler des EU-Gentechnikrechts wie Vorsorgeprinzip, Risikoprüfung, Rückverfolgbarkeit
und Kennzeichnung müssten auch bei den neuen Techniken aufrechterhalten bleiben.

Im Juni 2023 will die EU-Kommission ihren Gesetzesvorschlag für bestimmte Anwendungen
neuer Gentechnikverfahren bei Pflanzen vorlegen. Wie der genau ausgestaltet werden soll, dazu äußert sich die Kommission nur nebulös. Zu einem normalen Gesetzgebungsprozess der
EU gehört eine sogenannte Folgenabschätzung (Impact Assessment). Dazu hatte die Kommission unter anderem einen Fragebogen erarbeitet, der den Mitgliedstaaten und ausgewählten Stakeholdern zuging. Hierin hat die EU-Kommission das erste Mal dezidiertere Szenarien dargestellt, wie zukünftig neue Gentechniken (de-)reguliert werden könnten. Die AbL-Analyse der Szenarien zeigte, dass die Kommission plant, wichtige Grundprinzipien der bisherigen Gentechnikregulierung wie Vorsorgeprinzip, Risikoprüfung, Kennzeichnungs- und Nachweispflicht, Rückverfolgbarkeit, Haftung, Koexistenzregelungen – und damit Sicherung der Wahlfreiheit – auszuhebeln. Auch andere Verbände beanstandeten die Vorhaben der Kommission.

Erwartungen und Annahmen

Beim Umweltrat kritisierte die österreichische Ministerin Leonore Gewessler den Fragebogen der Kommission scharf. Er basiere „weitgehend auf Erwartungen, Annahmen und suggestiven
Szenarien und nicht auf Daten und wissenschaftlich fundierten Methoden“. Aus ihrer Sicht „kann und soll eine solche Gesetzgebung nicht auf Basis solcher Annahmen entwickelt werden, gerade bei Produkten, die vielfältige Auswirkungen auf Mensch und Umwelt haben können“. Vielmehr brauche es eine solide wissenschaftliche Basis. Dazu gehörten auch fundierte Kriterien der Risikoabschätzung. Abschließend ersuchte sie die schwedische Ratspräsidentschaft, eine Ad-hoc-Arbeitsgruppe des Rates einzurichten, um eine breite Diskussion der betroffenen Fachgebiete wie Umwelt, Gesundheit, Landwirtschaft zu ermöglichen. Diese sollte die weitere Diskussion um den geplanten Gesetzesvorschlag aktiv und konstruktiv begleiten.

Vorsorgeprinzip ernst nehmen

Neben Österreich kritisierten sieben weitere Mitgliedstaaten das Vorgehen der Kommission: Zypern, Ungarn, die Slowakei, Slowenien, Luxemburg, Belgien und Deutschland. Ungarn wies darauf hin, dass die gentechnikfreie Landwirtschaft seit Jahren in der ungarischen Verfassung verankert sei. Der
wichtigste Aspekt für verantwortliche Entscheidungsträger bei der Einführung einer solchen neuen Technologie bestehe darin, den größtmöglichen Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt unter Berücksichtigung des Vorsorgeprinzips zu gewährleisten.

Zypern forderte, das Vorsorgeprinzip in Bezug auf die Entwicklung neuer Gentechniken ernst zu nehmen. Vorsichtsmaßnahmen seien nach wie vor notwendig, um Risiken für die Umwelt und die menschliche Gesundheit zu vermeiden. Die derzeitigen Regelungen sollten auch für die neuen Gentechniken gelten.

Auch Slowenien und Belgien unterstützten die Einrichtung einer Ad-hoc-Arbeitsgruppe. Slowenien plädierte für eine neue und umfassende Folgenabschätzung auf der Grundlage zuverlässiger Daten. Umweltaspekte müssten berücksichtigt werden. Belgien forderte einen transparenten wissenschaftlichen Ansatz, der auf dem Vorsorgeprinzip beruhe müsse. Die Slowakei betonte, dass sie nur einen Gesetzesvorschlag unterstützen werden, der ein hohes Maß an Sicherheit gewährleiste,
das mit dem vergleichbar sei, was die derzeitigen Rechtsvorschriften für GVO vorsehen.

Umfassende Kennzeichnung

Luxemburg plädierte für eine umfassende Risikobewertung der neuen Techniken und Investitionen in die Forschung zu Nachweisverfahren und zur biologischen Sicherheit. Das Vorsorgeprinzip sollte weiter Vorrang haben. Zudem sei eine umfassende Kennzeichnung von größter Bedeutung, um eine
informierte Entscheidung der Verbraucher:innen zu gewährleisten.

Deutschland betonte, dass viele Akteure betroffen seien, neben Forschung und Züchtung auch Produktion, Handel und Verbraucher:innen sowie der Umweltund Naturschutz. Ein gesellschaftlich akzeptierter Umgang mit neuen Genechniken sei wichtig. Dabei müsse das Vorsorgeprinzip gewahrt und die Wahlfreiheit und Koexistenz verschiedener Anbausysteme gesichert werden. Es stelle sich die Frage wie die Kommission beabsichtige damit umzugehen.

EU-Kommission bleibt vage
Anders äußerten sich bei der Ratssitzung nur Dänemark, Estland, Lettland und die Niederlande, die die Linie der EU-Kommission unterstützten. EU-Umweltkommissar Virginijus Sinkevicius verteidigte das Vorgehen. „Die Kommission habe sich einem „evidenzbasierten, transparenten und inklusiven Prozess verschrieben“. Es habe zahlreiche Möglichkeiten für alle Beteiligten gegeben, sich zum Thema zu äußern. Zudem sei das EU-Forschungszentrum JRC beauftragt worden, Fallstudien zu möglichen Gesetzesänderungen zu erarbeiten. Diese sollen positive wie negative soziale, ökologische und ökonomische Auswirkungen umfassen, so Sinkevicius. Diese Studien sind aber bisher nicht öffentlich.

Das Vorschlagsrecht zur Einrichtung einer wie von Österreich vorgeschlagenen Ad hoc Arbeitsgruppe hat der jeweilige Ratsvorsitz, aktuell Schweden. Es wäre ein guter Weg, um mehrere betroffene Kompetenzfelder abzudecken und gemeinsam den für Juni erwarteten Gesetzesentwurf der Kommission zu diskutieren und Änderungen einzubringen.

Der Artikel als pdf_hier.

Zur Anhörung im EU-Umweltminsiterrat_hier

AbL-PM zum Umweltminsierrat_hier

Bewertung der Szenarien der EU-Kommission zur (De-) Regulierung der neuen Gentechniken_hier

30.03.2023
Von: Annemarie Volling, in: Bauernstimme 4/2023