Lebensmittelsicherheit vor Profite

Recht auf gentechnikfreie Landwirtschaft sichern

Sollte der aktuelle Vorschlag der EU-Kommission durchkommen, einen Großteil der neuen Gentechnik-Pflanzen nicht mehr nach EU-Gentechnikrecht zu regulieren, steht für gentechnikfrei wirtschaftende Landwirt*innen einiges auf dem Spiel. Das gilt für konventionell arbeitende Betriebe genauso wie für Biobetriebe. Sie könnten sich nicht mehr vor Kontaminationen schützen, ihre Absatzmärkte würden wegbrechen und ihre Existenz würde bedroht.

 

Interview mit Bärbel Endrass, Bäuerin mit eigenem Biobetrieb in Wangen (Allgäu).

Sie setzen sich für die gentechnikfreie Landwirtschaft ein, was sind Ihre Beweggründe?

Ein Großteil der Bevölkerung will nach wie vor keine Gentechnik auf dem Teller. Gerade meine Kund*innen in der Direktvermarktung legen großen Wert darauf. Für uns als Biobetrieb ist die Gentechnikfreiheit vorgeschrieben und ein wichtiges Qualitätskriterium. Ich finde es aber auch aus gesellschaftlichen und politischen Gründen wichtig. Gentechnik hat vor allem in den USA, aber auch global zu einer Machtkonzentration der Konzerne geführt. 60 Prozent des Saatguts wird von nur vier Konzernen hergestellt und verkauft. Sie bestimmen, welche Sorten mit welchen Eigenschaften auf den Markt kommen. Gentechnik-Saatgut ist immer patentiert, oft im Doppelpack mit Pestiziden. Das schafft enorme Abhängigkeiten. Für eine bäuerliche, vielfältige und klimaangepasste Landwirtschaft ist diese Einengung der Sorten und die Abhängigkeit eine große Bedrohung.

Was würde der Anbau von Gentechnik für Sie bedeuten?

Schon ohne Deregulierung wäre der Anbau von Gentechnik ein großes Problem, weil Koexistenz eine Utopie ist. Würden meine Nachbar*innen Gentechnik-Pflanzen anbauen (der Anbau von MON810-Mais wurde 2009 aufgrund von Umweltproblemen verboten), könnten diese leicht in meine Kulturen einkreuzen und meine Ernte verunreinigen. Die Abstandsregelungen sind viel zu knapp bemessen, Bienen und andere Insekten wurden nicht mit kalkuliert. Auskreuzungen und Verunreinigungen sind sehr wahrscheinlich. Auch durch die gemeinsame Maschinennutzung, v.a. bei der Aussaat und Ernte gäbe es große Verunreinigungsmöglichkeiten.

Wie sieht es mit der Gentechnikfreiheit im Saatgut aus? 

Gentechnikfreiheit im Saatgut ist die Voraussetzung für eine gentechnikfreie Ernte. In den letzten Jahren gab es immer wieder Probleme. Bei Saatgut (Mais, Raps, Leinsamen), das als gentechnikfrei gekauft und ausgesät wurde, wurde bei staatlichen Kontrollen „Spuren“ von gentechnischen Verunreinigungen gefunden, oft nicht zugelassene Konstrukte. Es gilt Nulltoleranz. Behörden ordnen an, dass die Saat umgebrochen und alles nicht ausgesäte Saatgut vernichtet werden muss. Das ist gerechtfertigt, um die Kette möglichst gentechnikfrei zu halten. Offen bleibt, wer die Kosten trägt. Hier braucht es unbedingt die Umsetzung des Verursacher*innen-Prinzips: Diejenigen die mit Gentechnik Experimente machen und sich einen Vorteil von der Gentechnik versprechen, müssen alle Folgekosten der gentechnikfreien Kette tragen.

Wie sieht es mit der Haftungsregelung bei verunreinigten Ernten aus?

Im deutschen Gentechnikrecht gilt die verschuldensunabhängige und gesamtschuldnerische Haftung. Ist meine Ernte verunreinigt, muss ich nicht nachweisen, welcher meiner Nachbar*innen das gewesen sein kann. sie müssen sich untereinander einigen oder haften gesamtschuldnerisch. Gezahlt wird nur der „merkantile“ Mehrwert, also die Differenz, wenn ich die Ware nicht mehr als gentechnikfrei – sondern nur als „enthält Gentechnik“ verkaufen kann. Dafür gibt es keinen Markt, denn die Abnehmer*innen, verlangen gentechnikfreie Ware. Vorsorgende Maßnahmen, um meine Erzeugerkette frei von Gentechnik zu halten, werden allerdings nicht erstattet. Das ist nicht hinnehmbar.

Könnten Verunreinigungen verhindert werden?

Würden gentechnisch veränderte Pflanzen hier angebaut, sind Kontaminationen, wenn überhaupt dann nur mit sehr großem Aufwand zu verhindern. Es bräuchte extrem große Abstände, um Pollenflug oder Auskreuzung über Insekten zu verhindern. Es bräuchte geschlossene gentechnikfreie Anbaugebiete, eine gemeinsame Maschinennutzung wäre nicht mehr möglich. Das ist praxisfern und utopisch und in kleiner strukturierten Regionen nicht umsetzbar.

Was würde eine Deregulierung der neuen Gentechniken in der Landwirtschaft konkret bedeuten?

Das würde eine vollkommene Verunsicherung auf vielen Ebene bedeuten. Würden neue Gentechnik-Pflanzen oder Tiere nicht mehr reguliert, hätten wir überhaupt keine Möglichkeiten des Schutzes mehr – aber auch keine Wahlfreiheit. Wir Bäuer*innen könnten nicht mehr selbstbestimmt anbauen und füttern.  Saatgut würde schutzlos den Gentechnik-Kontaminationen ausgeliefert. Der eigene Nachbau wäre nicht mehr möglich, weil nicht bekannt wäre, ob es eine Kontamination von den Nachbarflächen geben könnte. Es gäbe kein Standortregister mehr, um einzusehen wo angebaut wird. Ich könnte mir nicht mehr sicher sein, dass meine Ernte gentechnikfrei ist. Es gäbe keine Möglichkeiten der Rückverfolgbarkeit und Kontrolle mehr. Niemand wäre mehr verpflichtet, das sicherzustellen. Man könnte nicht mehr nachvollziehen, woher Verunreinigungen bzw. Gefahren (Allergene, Toxine) in der Lebensmittelkette kommen. Wenn es keine verpflichtende Risikoprüfung mehr gibt, werden unsere Äcker und Ställe zu Versuchsflächen der Gentechnik-Konzerne. Auch die Gen-Scheren zeigen unerwartete Effekte. Mich macht wütend, wenn Profite über unsere Lebensmittelsicherheit gestellt werden.

Und für Ihre Direktvermarktung?

Für mich als Direktvermarkterin wäre die Deregulierung eine Katastrophe. Wenn ich einmal Produkte verkaufe, wo Gentechnik drin ist, oder ich ihnen erklären muss, dass ich die Gentechnikfreiheit nicht mehr sicherstellen kann, werden sie woanders einkaufen. Ich würde meine Öko-Anerkennung und meine Absatzmärkte verlieren.

Der Bauernverband sagt, wir brauchen „dringend neue Züchtungstechniken, um schnell widerstandsfähigere Kulturpflanzen zu erhalten. Auch damit kann den Folgen des Klimawandels (…) begegnet werden." (1) Wie denken Sie darüber?

Ich bezweifele, dass mittels neuer Gentechnik schnell klimawandelanpassungsfähige Pflanzen erzeugt werden können. Die Klimawandelauswirkungen sind sehr vielfältig, ein Jahr trocken, das nächste zu feucht, Frühjahrestrockenheit, Spätfröste, jedes Jahr ist anders. Dafür gibt es keine universellen Gentechnik-Lösungen. Der Umbau zu einer klimagerechten Landwirtschaft ist die bessere Lösung: vielfältige Kulturen, weite Fruchtfolgen, Mischanbau, robuste, regional anpassungsfähige Sorten, Vielfalt im Saatgut, Agroforst. All das kann die konventionelle und ökologische Züchtung leisten, das Zuchtmaterial bietet genug Variabilität dafür. Dazu brauchen wir keine Risikotechnologie.

Ist der Ökolandbau zukunftsfähig ohne Gentechnik?

Auf jeden Fall – auch der Ökolandbau braucht keine Gentechnik. Wir Bäuer*innen konzentrieren uns auf wirklich nachhaltige und klimaschonende Lösungen. Die Konzerne wollen ihre Profite sichern und am Ende keine Verantwortung für ihre Produkte übernehmen. Die Zukunft ist gentechnikfrei – ökologisch und konventionell.

Vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Annemarie Volling (AbL). Das vollständige Interview ist im GID erschienen

(1) DBV (27.04.21): Bauernverband positioniert sich zu neuen Züchtungstechniken_hier.

03.06.2022
Von: Interview Unabhängige Bauernstimme
Dateien:
Lebensmittelsicherheit_vor_Profit_Bauernstimme_Juni_2022__.pdf