„Ohne Gentechnik“ bleibt ohne Gentechnik

Trotz Plänen der EU-Kommission

Lebensmittel mit der grünen „Ohne Gentechnik“-Raute werden auch in Zukunft keine Gentechnikzutaten enthalten, egal, ob sie mit „alter“ oder der sogenannten neuen Gentechnik hergestellt wurden. Selbst dann, wenn die EU-Kommission sich mit ihrem Anfang Juli vorgelegten Vorschlag durchsetzen sollte, einen Großteil der neuen Techniken zu deregulieren. Das erwarten die Verbraucher:innen zu Recht von „Ohne Gentechnik“-Produkten und auch der VLOG-eigene Qualitätsanspruch gebietet es. Nicht zuletzt ist es schlicht gesetzlich vorgeschrieben, Deregulierung hin oder her.

Gesetz gebietet umfassende Gentechnikfreiheit

Gesetzliche Grundlage der „Ohne Gentechnik“-Kennzeichnung in Deutschland ist das EG-Gentechnik-Durchführungsgesetz (EGGenTDurchfG). Nach dem Vorschlag der EU-Kommission soll zwar ein großer Teil der „neuen Gentechnik“-Pflanzen (NGT-1) von der „Mit Gentechnik“-Kennzeichnungspflicht nach den EU-Verordnungen 1829/2003 und 1830/2003 ausgenommen werden. Das EGGenTDurchfG verweist aber auch auf die Eigenschaft „gentechnisch veränderter Organismus“ (GVO) von Zutaten. Auch nach dem Gesetzesvorschlag wären alle NGT weiterhin GVO und dürften deshalb nicht in „Ohne Gentechnik“-Produkten enthalten sein.

Nachweisverfahren ausgebremst

Obwohl es also nicht nur gewünscht, sondern auch rechtlich zwingend geboten ist, würde es in der Praxis mit dem vorliegenden Gesetzesvorschlag allerdings sehr schwierig werden, NGT aus der Herstellungskette von „Ohne Gentechnik“-Lebensmitteln herauszuhalten. Die EU-Kommission scheint förmlich alles dafür zu tun, eine Koexistenz zwischen Gentechnikanbau und gentechnikfreiem Anbau künftig unmöglich zu machen, indem sie die Kennzeichnungspflicht und verpflichtende Nachweisverfahren für NGT-1 streichen will.

Nachweisverfahren sind ein zentraler Bestandteil von Rückverfolgbarkeitssystemen. Bislang muss vor der EU-Zulassung eines GVO vom Antragsteller auch ein Nachweisverfahren hinterlegt werden. Das soll für NGT-1 wegfallen. Wenn Dritte Nachweisverfahren entwickeln wollten, würde es ihnen unnötig schwer gemacht, da bei der verpflichtenden Registrierung keine Details zu den genetischen Veränderungen hinterlegt werden müssten.

Koexistenzmaßnahmen: Fehlanzeige!

Die EU-Kommission drückt sich davor, Koexistenzmaßnahmen festzulegen. Für die weiterhin kennzeichnungspflichtigen NGT-2 schiebt sie die Verantwortung dafür an die Nationalregierungen ab. Für NGT-1 wären bisher aus dem Umgang mit Gentechnikpflanzen bekannte und etablierte Koexistenzmaßnahmen wie vorgeschriebene Abstände zwischen Gentechnikkulturen und anderen Feldern oder ein Standortregister vermutlich sogar verboten. Nationale Anbauverbote wären explizit ausgeschlossen.

Kennzeichnung ist Basis für Transparenz

Die verpflichtende Kennzeichnung von gentechnisch veränderten Futtermittel- und Lebensmittelrohstoffen sowie deren Endprodukten ist der Grundpfeiler für Transparenz und Wahlfreiheit – nicht nur für Verbraucher:innen, sondern auch für Landwirt:innen, Futter- und Lebensmittelverarbeiter und den Lebensmitteleinzelhandel. Die Kommission plant bei NGT-1 lediglich eine Kennzeichnung des Saatguts. Daraus hergestellte Produkte und auch importierte Lebens- und Futtermittel würden ohne Kennzeichnung bleiben und wären damit nicht mehr erkennbar.

Was auf dem Spiel steht

Tausende von Unternehmen haben 20 Jahre lang investiert, um Gentechnikfreiheit sicherzustellen – weil ihre Abnehmer und die Verbraucher:innen es fordern. Abläufe wurden überarbeitet, in getrennte Herstellungsketten investiert, neue Lieferanten ausfindig gemacht, Qualitätssicherungsprogramme verfeinert, Zertifizierungen durchlaufen und vieles mehr. Im vergangenen Jahr wurden allein in Deutschland Lebensmittel mit "Ohne Gentechnik"-Siegel für 16 Milliarden Euro gekauft, dazu kommt der noch einmal in etwa genauso große Bio-Sektor. Die Kommission schickt sich an, Investitionen und Unternehmenswerte in gigantischem Ausmaß zu vernichten.

Özdemir muss sich für Neustart einsetzen

Käme der Vorschlag durch, würde die bisherige, gut funktionierende Gentechnikregulierung zerschlagen. Die Kommission versucht, die berechtigte vehemente Kritik daran aus dem Bio- und dem „Ohne Gentechnik“-Sektor damit abzutun, dass in diesen Bereichen doch die Nutzung von NGT-Produkten untersagt sei. Zugleich wäre es aber quasi unmöglich, das umzusetzen.

„Wer gentechnikfrei wirtschaften möchte, muss das weiterhin tun können“, hat Bundelandwirtschaftsminister Cem Özdemir gesagt und folgerichtig „wirksame Koexistenzmaßnahmen über die gesamte Wertschöpfungskette“ gefordert. Mit den Plänen der EU-Kommission ist das partout nicht vereinbar. Eine Korrektur bliebe nur Kosmetik. EU-Parlament und Ministerrat können ihn eigentlich nur als Ganzes ablehnen. Wenn Cem Özdemir es wirklich ernst meint, muss er auf einen kompletten Neustart des EU-Gentechnik-Gesetzgebungsprozesses hinarbeiten.

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01.09.2023
Von: Alexander Hissting, VLOG, Bauernstimme Sept 2023
Dateien:
Ohne_Gentechnik_bleibt_ohne_Gentechnik_BS_Sept_2023.pdf