Wir fordern: Ehrlichkeit, Respekt und Transparenz

Kommentar Benny Haerlin, Zukunftsstiftung Landwirtschaft

Erst ein Gesetzentwurf zur Deregulierung der neuen Gentechnik, dessen radikale Abwendung
von Wahlfreiheit und Vorsorge selbst harte Gentechnikfreunde so nicht für möglich gehalten hätten, und jetzt weitere zehn Jahre Glyphosat – wie viel Macht hat die Bayer AG eigentlich über die EU-Kommission?

Woher kommt diese Macht? Zweistellige Millioneninvestitionen in die Lobby in Brüssel gehören dazu, bemerkenswert enthusiastische Journalist*innen und Politiker*innen, die wie Neubekehrte „genomische Technologien“ preisen, von denen sie offensichtlich nichts verstehen, ein ehemaliger Landesvorsitzender der hessischen Grünen, der jetzt als Senior Vice President Public Affairs, Science & Sustainability der Bayer AG Korken raushaut wie „die Hohenpriester der Agrarökologie von der NGO IFOAM“ (er meint den Weltbioverband) hätten durch ein Verbot von Pestiziden und Düngemitteln in Sri Lanka den Zusammenbruch der Wirtschaft verursacht. Auch ein lavierender grüner Landwirtschaftsminister gehört dazu. Vor allem aber viele, die sich gerade lieber wegducken: Lebensmittelverarbeiter und Einzelhandel, Landesregierungen, Wissenschaftler*innen, die den Kommissionentwurf für empörend unwissenschaftlich halten, dies aber nicht öffentlich zu sagen wagen, Umweltschutzorganisationen, die gerade leider andere Prioritäten haben, eine CSU, die in Bayern und im Bundesrat Selbstbestimmung und Wahlfreiheit hochhält und in Brüssel das exakte Gegenteil verlangt.

Niemand hindert ja die Unternehmen und Wissenschaftler*innen daran, zu tun, worüber sie bisher nur reden: mit neuer Gentechnik echte Probleme zu lösen. Keine neue Gentechnikpflanze wurde in der EU bisher angemeldet. Niemand verhindert Zulassungen. Doch warum soll das plötzlich nur noch ohne Kennzeichnung und Wahlmöglichkeit, ohne Risikoabschätzung und Rückholbarkeit gehen? Warum so rücksichtslos auf Kosten aller, die Innovationen und Wege ohne Gentechnik entwickeln? Woher dieser fast totalitäre Machtanspruch einer Technologie?

Im Juni 2021 vor der Wahl antwortete Olaf Scholz auf Nachfrage verschiedener NGOs zur neuen Gentechnik: „Auch für die neuen Gentechniken muss das Vorsorgeprinzip uneingeschränkt gelten. Risikoüberprüfung und Kennzeichnungspflicht müssen Sicherheit, Wahlfreiheit und Transparenz für die Verbraucher*innen, Lebensmittelherstellung und Umwelt gewährleisten. Deshalb werde ich mich auch weiterhin auf allen Ebenen für eine strikte Regulierung der neuen Gentechniken einsetzen.“ Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock ergänzte damals in ihrer Antwort: Der größte Anreiz für die Großen der Saatgut- und Biotechnologiebranche, auf neue Gentechnik zu setzen, sei nicht wie oft behauptet, die Suche nach klimaangepassten oder ertragreicheren Sorten, sondern die Sicherung von lukrativen Patenten.

Das könnten wir nicht besser sagen. Dass der Kanzler und sein Vize zumindest noch
ihre Wahlversprechen halten – wenigstens auf dieses Minimum von Ehrlichkeit, Respekt
und Erinnerungsvermögen sollte Verlass sein.

Für alle anderen gilt: Wer in diesem Herbst nicht aufsteht und zu seinen Überzeugungen
steht, wird dies bald mit einer fundamental veränderten Agrarlandschaft in der EU
bezahlen.

Beny Haerlin, Zukunftsstiftung Landwirtschaft, Save our Seeds

05.10.2023
Von: Benny Haerlin, BS Okt 2023
Dateien:
Kommentar_Wir_fordern_Ehrlichkeit__Respekt_und_Transparenz_Haerlin_BS_10_2023.pdf