„Würde Schutz gentechnikfreien Anbaus enorm erschweren“

Interview mit Matthias Miersch, stellvertretender Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion u.a. zuständig für Landwirtschaft, zu den Plänen der EU

Unabhängige Bauernstimme: Die EU-Kommission hat einen Vorschlag zum Umgang mit neuen Gentechnikverfahren veröffentlicht, der eine weitestgehende Deregulierung vorsieht. Sie haben diese Haltung kritisiert, warum?

Matthias Miersch: Sollten die bekannt gewordenen Vorschläge für eine neue Gentechnikregulierung
auf EU-Ebene Realität werden, wäre dies das Ende der Wahlfreiheit für Verbraucherinnen und Verbraucher und für die gentechnikfreie Lebensmittelwirtschaft. Lebensmittel aus neuen Gentechniken kämen ohne Kennzeichnung in die Lebensmittelkette und auf die Teller. Damit verschiebt sich die Diskussion um neue Gentechniken von der Frage, wie ihre Chancen leichter genutzt werden können, komplett auf die Frage, wie eine Lebensmittelerzeugung ohne Gentechnik überhaupt noch gewährleistet werden kann.

Bislang stand der Schutz der gentechnikfreien Landwirtschaft – ob bio oder konventionell – auch aus wirtschaftlichen Gründen im Vordergrund der EU-Regelungen. Was würde der nun angedeutete Paradigmenwechsel bedeuten?

Würde der bekannt gewordene Vorschlag der EU-Kommission umgesetzt werden, müsste ein Großteil der Lebens- und Futtermittel, die mit neuen Gentechnikverfahren hergestellt werden, nicht mehr gekennzeichnet werden. Unternehmen könnten kaum sicherstellen, dass ihre Produkte nicht mit Gentechnik verunreinigt würden. Der Vorschlag der Kommission sieht zudem keinerlei Möglichkeit zum Optout für den Anbau von neuen Gentechniken vor. Das würde den Schutz des gentechnikfreien Anbaus enorm erschweren. Lediglich für Bioprodukte soll Gentechnik ausgeschlossen bleiben. Das ist nicht genug.

Die Kommission argumentiert, neue Gentechnikverfahren würden zur Bewältigung von Herausforderungen wie dem Klimawandel dringend benötigt. Auch aus dem Bundesforschungsministerium hört man das. Was sagen Sie?

Massive Ungleichheit auf der Welt ist einer der wichtigsten Gründe für Hunger und Fehlernährung. Diese Probleme werden durch neue Gentechniken nicht gelöst. Um die Ernährung auch in Zeiten der Klimakrise zu sichern und sich auf unterschiedliche und wechselnde Bedingungen wie Starkregen, Dürre und Hitze einzustellen und standortangepasste Lösungen zu entwickeln, brauchen wir mehr  Züchtung und nicht Pflanzen aus dem Genlabor. Dabei sollten wir lokal angepasste, regionale Pflanzensorten fördern. Diese notwendige Züchtung darf nicht durch Patente auf Pflanzen verhindert werden. Das Problem dieser Patente und deren Konzentration in den Händen weniger Großunternehmen spreche ich immer wieder an, auch im Plenum des Deutschen Bundestages.

Bislang sind die Reaktionen der Parteien der Bundesregierung unterschiedlich: Die FDP begrüßt die Deregulierung, die Grünen reagieren verhalten bis kritisch, Sie lehnen für die SPD ab. Wie kann es gelingen, am Ende im Ministerrat mit einer Stimme zu sprechen?

Im Ministerrat verhandeln Regierungen. Dies ist somit eine Angelegenheit der Bundesregierung, nicht des Parlaments. Da die Mehrheit der Menschen in Deutschland genmanipuliertes Essen ablehnt, wäre es wünschenswert, wenn die Position der Bundesregierung die Mehrheitsmeinung im Land widerspiegeln würde.

Wie ist Ihre Einschätzung im Hinblick auf den europäischen Einigungsprozess, wie groß ist das Interesse in den Ländern, das Vorsorgeprinzip zu erhalten und auch an der Opt-out-Möglichkeit – Mitgliedsstaaten entscheiden eigenständig über nationale Anbauverbote – festzuhalten?

Genmanipuliertes Essen wird nicht nur in Deutschland abgelehnt. Daher bin ich optimistisch, dass wir die geplante Aufweichung der Gentechnikregeln verhindern können.

Vielen Dank für das Gespräch! Claudia Schievelbein

12.07.2023
Von: Interview Unabhängige Bauernstimme, Juli 2023