Unzureichender Beschluss des EU-Rats zu neuen Gentechniken

Um die Gentechnikfreiheit zu sichern, kommt es auf Bäuer:innen, Bürger:innen und Politik an

Der EU-Ministerrat hat Mitte März seine Verhandlungsposition zu einem Gesetzesentwurf der EU-Kommission zu Pflanzen mit neuen Gentechniken (NGT) festgelegt. Damit haben jetzt Rat und Europaparlament (EP) ihr Mandat - und der Trilog, der Einigungsprozess zwischen den drei gesetzgebenden Institutionen (EP, Rat, Kommission), kann beginnen. Die Gentechnik-Befürworter feiern einen Etappensieg. Der Kampf um das Recht auf gentechnikfreie Erzeugung geht weiter.

Mangelhafte Rats-Position

Der stark umstrittene Gesetzesvorschlag der EU-Kommission vom Juli 2023 sieht vor, dass fast alle zu erwartenden neuen Gentechnik-Pflanzen nicht mehr nach bestehendem EU-Gentechnikrecht reguliert werden sollen. Das führte über 1,5 Jahre zu erheblichen Diskussionen im EU-Rat. Nun hatte die seit Januar amtierende polnische Ratspräsidentschaft einen Vorschlag zur Positionierung des Rates vorgelegt. Dieser adressiert allerdings lediglich das Thema Patente. Alle weiteren kritischen Themen, die die Mitgliedstaaten in den Prozess eingebracht hatten, wurden komplett außen vorgelassen. Trotzdem erhielt der Verhandlungsvorschlag Mitte März vom AStV (Ausschuss der Ständigen Vertreter/Coreper) die nötige qualifizierte Mehrheit - allerdings nur sehr knapp! Es ist aus Sicht der AbL ein kritikwürdiges Vorgehen, dass Beamte hier in Hinterzimmern ihre mit den Regierungen abgestimmten Meinungen abgeben, anstatt dass die EU-Landwirtschaftsminister so einen weitreichenden Beschluss mit einer tatsächlichen Abstimmung transparent fällen.

Kommentare

Wie zu erwarten wurde die Entscheidung kontrovers kommentiert. Befürworter wie der EU-Bauernverband Copa- Cogeca begrüßen die Positionierung des Rates und hoffen auf rasche Fortschritte. Sie versprechen sich widerstandsfähigere NGT-Pflanzen gegen Dürren und Krankheiten bei gleichzeitig sinkendem Pestizideinsatz. Euroseeds, der europäische Verband der Saatgutunternehmen, warnte, dass die EU ohne eine rasche Umsetzung Gefahr laufe, hinter die globalen Wettbewerber zurückzufallen. Der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) bezeichnete den Freitag als „schwarzen Tag für die Wachstumsbranche Bio“. Die Entscheidung der EU-Staaten drohe die ökologische Land- und Lebensmittelwirtschaft in große Bedrängnis zu bringen. Weder die Frage der Haftung bei unbeabsichtigter Kontamination mit NGT noch Vorschriften für eine echte Koexistenz des Anbaus mit und ohne neuer Gentechnik seien bisher geklärt – ganz abgesehen von der Patentierung von Saatgut und Pflanzen.

Auch die AbL kritisiert das Verhandlungsmandat deutlich: „Der Verordnungsvorschlag dient allein der Gentechnik-Industrie“, sagte die AbL-Bundesvorsitzende Claudia Gerster. Nun müsse erheblich nachgebessert werden, „damit das EU-Vorsorgeprinzip, unsere Wahlfreiheit und unsere gentechnikfreien Märkte und Wettbewerbsvorteile gesichert werden – ökologisch und konventionell“.

Nächste Schritte

Nachdem sich sowohl das EU-Parlament im Februar 2024 als auch aktuell der EU-Ministerrat auf ihre Verhandlungsvoten geeinigt haben, kann der sogenannten Trilog starten. Ziel der drei Verhandelnden (EP, Rat und EU-Kommission) ist es, sich auf einen Kompromiss zwischen den unterschiedlichen Positionen zu einigen. Am Ende wird über diesen Kompromisstext nochmal im Europaparlament und im EU-Ministarrat abgestimmt. In einigen Punkten gibt es große Abweichungen zwischen den drei Positionen.

Die offensichtlichsten Unterschiede in den Positionen gibt es im Bereich Kennzeichnung und Patente. Das Europaparlament verlangt eine Kennzeichnung auch von NGT-1-Pflanzen entlang der gesamten Kette bis zum Endprodukt. Auf dem Etikett soll demnach stehen „neue genomische Techniken“ – statt der gebräuchlichen „Gentechnik“-Bezeichnung. Zudem will das EP Rückverfolgbarkeit – allerdings nur dokumentenbasiert. Die Praxis bräuchte stattdessen verpflichtende Nachweisverfahren durch die Inverkehrbringer. Der Rat hingegen bleibt bei der völlig unzureichenden Position der EU-Kommission, dass nur das Saat- und Pflanzgut gekennzeichnet werden soll, mit dem kryptischen Wortlaut „Kat-1-NGT“. 

Hinsichtlich der Patentierung fordert das EP ein Verbot von Patenten auf NGT-1-Pflanzen und will dazu die EU-Patent-Richtlinie ändern. Auch bei den Mitgliedstaaten gab es starke Stimmen, Patente auf NGT-Pflanzen zu verbieten. Die Ratsposition sieht aber lediglich vor, das transparent gemacht werden soll, auf welche NGT-1-Pflanzen Patente angemeldet oder erteilt wurden. Das ist völlig unzureichend, da es die Folgeprobleme von Patenten, den freien und ungehinderten Zugang zu genetischen Ressourcen nicht sicherstellt. Auch die EP-Position greift aus Sicht der AbL zu kurz. Für ein rechtssicheres Verbot von Patenten auf NGT-Pflanzen ist eine entsprechende Änderung des Europäischen Patentübereinkommens (39 Vertragsstaaten) notwendig. Bis zur Lösung der grundlegenden Patentfrage muss nach Meinung der AbL das Deregulierungsvorhaben von NGT-Pflanzen gestoppt werden, damit nicht vor einem rechtssicheren Verbot doch schon Patente auf NGT-Pflanzen angemeldet oder gar erteilt werden.

Beim Opt-Out Verfahren, was bislang per EU-Richtlinie Mitgliedsstaaten erlaubte, den Anbau einzelner von gentechnisch veränderter Pflanzen in ihrem Hoheitsgebiet einzuschränken oder zu untersagen, haben Rat und EP eine ähnliche Position: sie wollen, dass dies für NGT-2-Pflanzen umgesetzt wird. Der Kommissionsentwurf hatte dies ausgeschlossen. Opt-Out muss für alle NGT-Pflanzen gelten.

Gentechnikfreiheit sichern

Zusätzlich bleiben viele Schlüsselfragen offen, wie eine gentechnikfreie Erzeugung tatsächlich gesichert werden kann. Aus Sicht der AbL muss das EU-Vorsorgeprinzip, unsere Wahlfreiheit und unsere gentechnikfreien Märkte und Wettbewerbsvorteile gesichert werden. Dazu braucht es wirksame, europaweite Koexistenz- und Haftungsregelungen, die eine gentechnikfreie ökologische und konventionelle Lebensmittelerzeugung sichern. Dies will auch nach wie vor ein Großteil der Verbraucher:innen. Es braucht eine verpflichtende Risikoprüfung aller neuen Gentechnik-Pflanzen und Verbotsmöglichkeiten, im Falle von Schäden für Gesundheit oder Umwelt oder aus sozioökonomischen Gründen (Opt-Out), um funktionierende Märkte und Naturschutzflächen vor Gentechnik-Verunreinigungen zu sichern. Es braucht Transparenz und Wahlfreiheit für alle Akteure, um entscheiden zu können, wie wir wirtschaften und was wir essen. Weder die alte noch die neue Gentechnik lösen unsere Klima- und Biodiversitätskrisen. Dazu brauchen wir Vielfalt - Vielfalt an Kulturen und im Saatgut sowie widerstandsfähige Anbausysteme. Kommt es in den weiteren Verhandlungen zu keinen grundlegenden Verbesserungen, muss der Verordnungs-Vorschlag nach Auffassung der AbL am Ende vom Europaparlament und EU-Rat abgewiesen werden. Noch ist nichts entschieden!

Annemarie Volling, AbL-Referentin für Gentechnik