Im Herbst 2021 startete die EU-Kommission einen Gesetzgebungsprozess zu neuen Gentechnik (NGT) -Verfahren. Einzelne Anwendungen sollen aus der bestehenden Gentechnikregulierung ausgenommen werden. Öffentlich hatte die EU-Kommission immer betont, dass sie die neuen Verfahren nicht deregulieren will. In welche Richtung ihre Überlegungen gingen konnte man bisher nur erahnen, die Andeutungen waren vage. Das Mantra, was sie vor sich herschiebt ist aber, dass die neuen Gentechniken einen Beitrag leisten könnten, um die Nachhaltigkeitsziele der EU. Wie das durch neue Gentechnik-Pflanzen erfüllt werden soll, ist unklar.
Mangelnde Transparenz
Zu einem EU-Gesetzgebungsprozess gehören öffentliche und gezielte Konsultationen. Es fanden zwei öffentliche Konsultationen statt. Die zweite endete am 22. Juli 2022. Parallel begann eine „gezielte“ Befragung von Stakeholdern (betroffenen Unternehmen und Organisationen) sowie den Mitgliedstaaten. Diese begrenzte sich jedoch auf lediglich 400 ausgewählte Steakholder in ganz Europa. Das Brisante: Nur diesen wurden detailliertere Pläne der angedachten Maßnahmen der EU-Kommission als Bewertungsgrundlage für ihre Abschätzung von wirtschaftlichen und ökologischen Folgen vorgestellt. Die Teilnehmer:innen der öffentlichen Konsultation kannten die Szenarien nicht. Diese Vorgehen kritisiert die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) und fordert mindestens eine Wiederholung der Konsultationen nach vorheriger Veröffentlichung der Szenarien.
Höhere Risiken
Die jetzt öffentlich gewordenen Pläne der EU-Kommission zeigen eindeutig, dass eine Deregulierung neuer Gentechnikverfahren geplant ist. Dabei sollen zwei neue Prämissen einführt werden: „Risikoprofile“ und „Nachhaltigkeitsbewertung“. Beide sind wissenschaftlich nicht klar zu definieren.
Die Kommission behauptet, bestimmte Pflanzen hätten ein ähnliches „Risikoprofil“ wie konventionelle Züchtungen. Diese müssten dann nicht mehr als Gentechnik reguliert werden. Diese Risikobetrachtung widerspricht wissenschaftlichen Erkenntnissen. Denn auch der Einsatz neuer Gentechnik-Verfahren birgt Risiken. Der Prozess, die eingesetzten Verfahren, sind entscheidend. Das Bundesamt für Naturschutz geht davon aus, dass das Risikopotenzial von NGT-Pflanzen mindestens dem Risikopotenzial von alten Gentechnik-Pflanzen entspricht oder sogar größer ist. In gleicher Weise hatte auch der EuGH 2018 geurteilt. Entsprechend müssen die Risiken der Gentechnik-Pflanzen in jedem Einzelfall bewertet werden und können nicht pauschal aus der Regulierung genommen werden.
Nur sichere Produkte können nachhaltig sein
Parallel soll eine „Nachhaltigkeitsbewertung“ eingeführt werden. Neben der Risikobewertung soll zusätzlich eine Nachhaltigkeitsbewertung in die gleiche Prüfvorschrift etabliert werden. Diese Verquickung ist kontraproduktiv. Sie würde das Vorsorgeprinzip relativieren und torpedieren – nicht zuletzt deshalb, weil die Kommission plant, das nachhaltige neue Gentechnik-Pflanzen nicht mehr der Risikoprüfung und dem Zulassungsverfahren unterliegen sollen. Die AbL meint, dass gesetzlich abgesicherte Nachhaltigkeitskriterien für Lebensmittelprodukte hilfreich sein können, sie müssen aber in einem eigenständigen Regel- und Prüfsystem unabhängig durchgeführt werden, wissenschaftlichen Kriterien unterliegen und das gesamte Lebensmittelsystem betrachten. Keinesfalls darf eine Nachhaltigkeitsbewertung die Gentechnikregulierung und -Kennzeichnungspflicht aushebeln.
Nachhaltigkeit und Klimaanpassungsfähigkeit nicht in Sicht
Als eine Begründung für eine Deregulierung führt die EU-Kommission an, dass mit NGT-Pflanzen schnell die Nachhaltigkeitsziele der EU sowie „klimaanpassungsfähige“ und widerstandsfähige Pflanzen erreicht werden könnten. Laut einer Forschungsstelle der EU-Kommission sollen in den nächsten fünf Jahren 15 NGT-Pflanzen auf den Markt kommen. Das seien v.a. GV-Pflanzen mit Herbizidresistenz, solche, die selbst Insektengifte oder veränderte Inhaltsstoffe produzieren. Das solche Pflanzen nicht nachhaltig sind, hat bereits die alte Gentechnik gezeigt. Schnell entstanden Resistenzen und der Pestizideinsatz stieg. Aktuell werden in der Grundlagenforschung die Funktionen einzelner Gene unter Stressbedingungen untersucht. Eine Entwicklung von „klimanapassungsfähigen“ NGT-Sorten ist nicht abzusehen. Sollten durch CRISPR solche trockentoleranten Pflanzen erzeugt werden können, dann sind dies höchst wahrscheinlich NGT-Pflanzen mit Veränderung mehrerer Gene und dem Eingriff in komplexe Regelnetzwerke der Pflanzen. Wie diese nach der Entwicklung im Gewächshaus auf Stressbedingungen auf dem Acker reagieren, ist unklar. In jedem Fall müssten diese reguliert werden. Bisher sind Nachhaltigkeit und Klimaanpassungsfähigkeit von NGT-Pflanzen also reine Industrie-Versprechen. Damit eine Deregulierung zu begründen – oder gar Anreize für vermeintlich nachhaltige NGT-Pflanzen zu schaffen - ist politisch zweifelhaft.
Deregulierungspläne stoppen
Kommen die Pläne der Kommission durch, würden wichtige Errungenschaften der europäischen Zivilgesellschaft: eine verpflichtende Risikoprüfung und -bewertung, ein Zulassungsverfahren, Rückverfolgbarkeit, Nachweis- und Kennzeichnungspflicht, Transparenz, Haftung und nationale Verbotsmöglichkeiten abgeschafft. Neue Gentechnik-Pflanzen wären nicht mehr erkennbar und kämen ungeprüft und unreguliert auf europäische Äcker und Teller. Bäuer:innen, Züchter:innen, Verarbeiter:innen und Handel hätten keine Chance mehr, gentechnikfrei zu erzeugen – weder konventionell noch ökologisch. Sie würden gegen ihren Willen, unbeabsichtigt und unwissentlich neue Gentechnik-Produkte einsetzen. Unser Recht auf gentechnikfreie Lebensmittel wäre passé.
Die AbL fordert die EU-Kommission auf, ihre Deregulierungspläne umgehend zu stoppen und stattdessen bestehendes Gentechnikrecht umzusetzen. Mindestens müssen die politischen Szenarien umgehend veröffentlicht werden und die Konsultationen sind zu wiederholen. Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir und Bundesumweltministerin Steffi Lemke müssen bei der EU-Kommission Transparenz einfordern. Vor allem aber müssen sie gegen die aktuellen Pläne vorgehen, indem sie sich klar für eine Regulierung aller neuen und alten Gentechnik-Verfahren einsetzen. Nur so können wir die gentechnikfreie Lebensmittelerzeugung und die Wahlfreiheit sicherstellen.
Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir und Bundesumweltministerin Steffi Lemke müssen bei der EU-Kommission Transparenz einfordern. Vor allem aber müssen sie gegen die aktuellen Pläne vorgehen, indem sie sich klar für eine Regulierung aller neuen und alten Gentechnik-Verfahren einsetzen. Nur so können wir die gentechnikfreie Lebensmittelerzeugung und die Wahlfreiheit sicherstellen.
Zur AbL-Analyse der Deregulierungspläne der EU-Kommission_hier. Zu unserer Pressemeldung_hier.
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