Neue Gentechnik - werden die Karten neu gemischt?

Ungarn will Deregulierungs-Vorschlag neu debattieren – Chance nutzen für Gentechnikfreiheit

Kurz bevor ein Mitgliedsland die Präsidentschaft im EU-Ministerrat turnusgemäß nach sechs Monaten wieder abgibt, wird es oft hektisch, schließlich will man noch einige Vorhaben zum Abschluss bringen und sich so ein paar Lorbeeren abholen. Belgien hat bis zum Ende ihrer Ratspräsidentschaft Ende Juni alles versucht, um die Mitgliedstaaten zu überzeugen, das Deregulierungspaket der EU-Kommission zu neuen Gentechniken (NGT) im Gesetzgebungsprozess durchzudrücken. Allerdings haben die Mitgliedstaaten viele Fragen und Probleme im Verordnungsentwurf der EU-Kommission aufgezeigt. Darüber wurde bisher nicht ausreichend diskutiert, so dass Österreich das Bild prägte „Gründlichkeit vor Schnelligkeit“. Für Ungarn und Polen, die Ländern, die die nächsten beiden Ratspräsidentschaften innehaben, könnte es eine Chance geben, entweder den Verordnungsvorschlag wesentlich zu verbessern – oder zu der Antwort zu kommen, dass der VO-Vorschlag abzulehnen ist, weil er die gentechnikfreie Erzeugung und die Wahlfreiheit torpediert.

Kritik, Fragen, Bedenken

Seit 1. Juli liegt der Vorsitz der EU-Ratspräsidentschaft bei Ungarn. Gleich zu Beginn legten sie dem EU-Agrarrat ein sogenanntes „Non-Paper“ vor (also ein inoffizielles Papier, um die Akzeptanz der Vorschläge zu testen). Das 12-seitige Papier führt an, dass im Agrarrat keine gemeinsame Position zum Verordnungsentwurf erreicht werden konnte und bemängelt, dass bisher nicht genügend Zeit zur Verfügung gestanden hätte, um verschiedene kontroverse Themen angemessen zu erörtern. Ungarn listet 10 ausführliche Punkte auf, die aus Sicht verschiedener Mitgliedstaaten im VO-Vorschlag strittig sind, stellt wichtige Fragen und schlägt Optionen vor. Dazu gehören Fragen zum Risiko und zu den Kriterien der Kategorie 1, Kennzeichnung, Nachweis und Identifizierung, Nachhaltigkeit, Geltungsbereich der VO und Exporte. Die Verantwortlichen in Ungarn bitten darum, schriftliche Anmerkungen, Kommentare, Fragen und zusätzliche Bedenken einzureichen. Die AbL hat das Vorgehen der Ratspräsidentschaft begrüßt und führt in einem Brief weitere wichtige Aspekte auf (wirksame Koexistenz- und Haftungsregelungen etc.), die aus Sicht der gentechnikfreien konventionellen und ökologischen Erzeugung ebenso dringend zu berücksichtigen sind.

Risikobewertung 

Das Non-Paper nimmt die Argumentation kritischer Wissenschaftler:innen auf. Diese legen dar, dass die Kriterien der sog. Kategorie 1 weder geeignet seien, eine „Gleichwertigkeit“ festzustellen, noch eine Aussage über deren Risiken treffen zu können. Eine Risikobewertung sei im VO-Vorschlag für NGT-Pflanzen der Kategorie 1 überhaupt nicht vorgesehen, genauso wenig wie Risikomanagementmaßnahmen und ein Zulassungsverfahren. Dafür gäbe es keine ausreichende wissenschaftliche Begründung. Dies sei ggf. nicht mit dem Hauptziel der VO vereinbar, ein hohes Schutzniveaus für die Gesundheit von Mensch und Tier sowie die Umwelt aufrecht zu erhalten. Ungarn stellt zur Diskussion, ob NGT-1-Pflanzen ein „vereinfachtes Risikobewertungsverfahren“ durchlaufen sollten.

Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit

Die Kennzeichnung bis zum Endprodukt ist wichtig, um Rückverfolgbarkeit zu gewährleisten und für das Verbrauchervertrauen, indem sie ausreichende Informationen für die Wahlfreiheit erhalten, so das Papier. Der VO-Vorschlag sieht für NGT-1 lediglich eine Kennzeichnung des Saat- und Pflanzgutes vor. Viele Mitgliedstaaten verlangen aber eine Kennzeichnungspflicht auch für NGT-1-Pflanzen bis zum Lebens- und Futtermittel. Weiter heißt es im Papier: „Um den Ausschluss von NGT- Pflanzen der Kategorie 1 aus dem Ökolandbau zu gewährleisten“, sollten auch Lebens- und Futtermittel entlang der Kette gekennzeichnet werden. Hingegen schlagen andere Mitgliedstaaten vor, NGT-1 im Ökolandbau zuzulassen, und meinen, dass dann keine Kennzeichnung der Erzeugnisse erforderlich wäre. Ungarn fragt nach einer Positionierung aber auch nach anderen Optionen. Aus der Perspektive der gentechnikfreien Erzeugung – ökologisch und konventionell – braucht es selbstverständlich eine Kennzeichnungspflicht bis zum Endprodukt für alle! Eng verbunden damit ist die Nachweispflicht. „Um eine ordnungsgemäße Rückverfolgbarkeit, Transparenz und eine bewusste Entscheidung der Verbraucher zu gewährleisten, sind zuverlässige Nachweis- und Identifizierungsmethoden für NGT-Pflanzen und -Produkte erforderlich“, betont das Non-Paper. Die AbL fordert die verpflichtende Bereitstellung von spezifischen Nachweisverfahren, wenn NGT-Hersteller ihre Produkte in Verkehr bringen wollen. Das ist auch möglich, weil ihnen ja die gentechnische Veränderung bekannt ist.

Koexistenz- und Haftungsregelungen

Um eine gentechnikfreie konventionelle und ökologische Erzeugung in Zukunft sicherzustellen, braucht es weitere Maßnahmen, die im Non Paper aber leider nicht angesprochen wurden. Dies sind v.a. wirksame und EU-weite Koexistenzregelungen (wie ein flurstückgenaues Standortregister, Anbauabstände, Reinigungsauflagen bei gemeinsamer Maschinen- und Lagernutzung, getrennte Verarbeitungswege). Genauso entscheidend sind verschuldensunabhängige Haftungsregelungen bei Schadensfällen und die Umsetzung des Verursacherprinzips – diejenigen die Mehrkosten und -aufwand zur Sicherstellung der Gentechnikfreiheit verursachen, müssen dafür auch zahlen. Entscheidend ist auch, dass es wie im bestehenden Gentechnikrecht Stoppmaßnahmen gibt, sowohl bei Gefährdung der Gesundheit von Mensch und Tier oder bei negativen Auswirkungen auf die Ökosysteme und Umwelt als auch aus sozio-ökonomischen Gründen (sog. Opt/Out). Auch das Thema Patente auf NGT-Pflanzen und deren Produkte wurden im Papier nicht erwähnt, obwohl dies sowohl im Rat als auch im Parlament als sehr wichtig gilt (s. Meldung). Dies ist umso wichtiger, da es hier rechtssichere Lösungen braucht, die hat bisher nach Meinung von Patentexperten weder das Europäische Parlament noch die belgische Ratspräsidentschaft vorgeschlagen.

Kontroverse Diskussionen

Die Mitgliedstaaten diskutieren das Non-Paper sehr kontrovers. Während Österreich und verschiedene Balkanländer den ungarischen Vorschlag begrüßen, sprechen Frankreich, Spanien, die skandinavischen, baltischen und andere südeuropäische Länder von einem „Rückschritt". Die Mitgliedstaaten sind nun aufgefordert, sich erneut einzubringen.  Jetzt ist die Zeit für kontroverse Diskussionen und im Zweifel Ablehnung des Verordnungsvorschlags, da er die gentechnikfreie Lebensmittelerzeugung abschaffen will.

 

 

 

27.08.2024
Von: Annemarie Volling in Bauernstimme Sept. 2024