Auf EU-Ebene wird weiter um die Deregulierung der neuen Gentechniken gerungen (s. Bauernstimme 3/2024). Entscheidet sich die EU für die Deregulierung, steht der gesamte gentechnikfrei arbeitende (konventionelle und ökologische) Agrar- und Lebensmittelsektor vor dem Aus. Denn in Zukunft dürften über 90% der NGT-Pflanzen, die zur Marktreife gelangen, ohne Risikobewertung und sonstige Auflagen angebaut und verarbeitet werden. Wie sieht es in Ländern aus, in denen die neue Gentechnik bereits dereguliert wurde? Welche NGT-Pflanzen sind – Stand Frühjahr 2024 – bereits auf dem Acker? An was für Pflanzen und Eigenschaften arbeiten die Unternehmen?
Bayer & Co.: Vor allem alte und ein bisschen neue Gentechnik
Auch nach über einem Jahrzehnt der Entwicklung und Anwendung der neuen Gentechnik findet die vielbeschworene «Revolution» auf dem Acker noch immer nicht statt. Ein Blick in die aktuellen Investorenpräsentationen der großen Agrarkonzerne zeigt deutlich, dass sich deren Hauptgeschäft nach wie vor auf die herkömmliche («alte») Gentechnik konzentriert. Noch immer geht es um den Verkauf von mehrfach gestapelten herbizid- und/oder insektenresistenten Pflanzen und den dazu passenden Spritzmitteln. Corteva z. B. führt die neue Gentechnik eher am Rande unter der Rubrik «Neue Möglichkeiten: Zukunftsweisende Technologien» auf.
Ähnlich sieht es bei Bayer aus. Über 50% seiner Einnahmen erzielt das Unternehmen mit dem Verkauf von Herbiziden und den passenden Gentechnik-Mais- und Soja-Traits. Im Bereich neuer Gentechnik kooperiert Bayer mit CoverCress Inc. Bayer hält eine 65%-Beteiligung am Unternehmen, das mittels CRISPR ein Ackerhellerkraut mit einem erhöhten Ölgehalt entwickelt hat. Ein weiterer Kooperationsvertrag besteht mit Pairwise. Fokus ist die Optimierung und Verbesserung von NGT-Kurzhalm-Mais. Auch andere Firmen wie Inari, Corteva und Stine Seeds arbeiten an Zwergmais. Erste konventionell gezüchtete Sorten sind bereits auf dem Markt erhältlich.
Viel Forschung…
Die Zusammenarbeit mit Pairwise lobt Bayer als äußerst erfolgreich. So sei ein neuer Gentechnik Mais mit höheren Kolbenerträgen in Entwicklung und eine NGT-Sojabohne, die besser vor Asiatischem Sojarost geschützt sein soll. Ob und wann Sorten mit diesen Eigenschaften verfügbar sein werden, ist nicht bekannt.
Pairwise selbst will vor allem «Life-style»-Produkte wie Kirschen ohne Stein und Brombeeren ohne Kerne auf den Markt bringen. 2023 hat sich das Unternehmen – aus unbekannten Gründen – aus der Vermarktung seines CRISPR-Salates (Senf mit reduzierten Bitterstoffen) zurückgezogen.
Das US-Unternehmen CIBUS fusionierte 2023 mit Calyxt. Sie versprechen Rapssorten mit einer erhöhten Schotenplatzfestigkeit (Kommerzialisierung ab 2025) und mit einer Resistenz gegen Weißstängeligkeit (Sclerotinia). Dazu soll ein herbizidresistenter Reis «in den nächsten 2-3 Jahren» auf den Markt kommen.
Nach wie vor ist Soja eine der zentralen Kulturen, an der mehrere Unternehmen arbeiten. GDM Seeds aus Argentinien z. B. hat für zwei CRISPR-Sojasorten (verbesserte Verdaulichkeit, Trockentoleranz) bereits eine Zulassung in Argentinien, Brasilien und Kolumbien erhalten (die Markteinführung ist für 2024/25 geplant). Ob die Trockentoleranz großflächig unter Feldbedingungen funktioniert, muss sich erst zeigen. Corteva und Bunge arbeiten an einer Soja mit höherem Proteingehalt, einem optimierten Aminosäureprofil und einem geringeren Gehalt an antinutritiven Faktoren. Der Großteil der CRISPR-Soja dürfte auch weiter für Tierfutter verwendet werden.
… wenig auf dem Acker
In Japan werden die als entspannungsfördernd und blutdrucksenkend angepriesenen «GABA-Tomaten» inzwischen auch in Supermärkten angeboten.
Ein Salat des US-Unternehmens Green Venus ist vermutlich bereits seit 2020 auf dem Markt. Er soll eine verlängerte Haltbarkeit haben und verringerte enzymatische Bräunungsreaktion (an verletzten Blättern) zeigen. Der erwähnte bitterstoffreduzierte Salat (Pairwise) wurde 2023 von Health Canada auf die Liste der «non-novel foods» aufgenommen. Ob der Salat in Kanada auch angebaut wird, ist unklar.
Ein schon vor Jahren angekündigter Mais mit veränderter Stärkezusammensetzung (waxy corn) von Corteva dürfte inzwischen in verschiedenen Ländern auf dem Acker sein. Der Mais hat Anbauzulassungen in den USA, Kanada, Brasilien, Argentinien, Chile und seit 2023 auch in Japan. Anbauzahlen liegen nicht vor.
Im April 2023 wurde die erste mittels CRISPR entwickelte Pflanze in China zum Anbau freigegeben. Die Sojabohnen mit höherem Ölsäuregehalt von Shandong BellaGen Biotechnology Co. erhielten ein Sicherheitszertifikat für fünf Jahre (bis April 2028). BellaGen soll das erste Unternehmen in China sein, das die Nutzung der neuen Gentechnik im Pflanzenbereich im industriellen Maßstab einführt.
Die versprochenen «Wunderpflanzen» sind also weiterhin nicht erhältlich. Da weltweit neben den großen Chemie- und Saatgutkonzernen auch eine ganze Reihe weiterer Unternehmen intensiv mit CRISPR arbeiten, dürfte der Anbau entsprechender Pflanzen in Zukunft zunehmen. Wie die Recherchen zeigen, werden die bislang verfügbaren NGT-Pflanzen nicht dazu beitragen, den eigentlich erforderlichen systemischen Umbau der Landwirtschaft voranzutreiben. Um alternative Entwicklungspfade in Richtung einer stärkeren Ökologisierung weiter offen zu halten, ist und bleibt die Regulierung der neuen Gentechnik als Gentechnik unabdingbar.
Autorin: Eva Gelinsky, politische Koordinatorin der Interessengemeinschaft für gentechnikfreie Saatgutarbeit (IG Saatgut) und selbstständige Wissenschaftlerin (semnar / saatgutpolitik & wissenschaft).