Resiliente Systeme statt Technofixes

Neue Gentechnik und Pflanzenzüchtung im Klimawandel

Spätfröste in einem ansonsten rekordwarmen Frühjahr, ein niederschlagsreicher Sommer mit Hochwasser an vielen Orten und heftigen Unwettern haben zu teilweise erheblichen Ernteausfällen geführt. Die Auswirkungen der Klimakrise auf die Landwirtschaft werden auch hierzulande immer deutlicher spürbar. Gleichzeitig sind angemessene Anstrengungen zur Reduktion der Treibhausgasemissionen in Deutschland und weltweit nicht absehbar. Im Gegenteil: Investitionen in fossile Energieinfrastruktur steigen, die Emissionen erreichen neue Rekordwerte. Dies wird sich verschärft auch auf die landwirtschaftliche Produktion auswirken. Je schwieriger die Situation, desto dringender werden Auswege gesucht. Einmal mehr werden vor allem technologische Lösungsansätze präsentiert.

Trockentoleranz ist komplex

Der Ansatz neuer wie alter Gentechnik besteht darin, Gene so zu verändern, dass den Auswirkungen des Klimawandels durch spezifische Eigenschaften begegnet werden soll. Angestrebt werden z. B. trocken-, hitze-, staunässe- oder salztolerante Pflanzen oder auch Pflanzen mit einer breiten „Klimatoleranz“. Dazu müssen Gene identifiziert und modifiziert werden, die diesen Merkmalen zu Grunde liegen sollen.

Bei genauerer Betrachtung zeigt sich aber, dass z. B. Trockentoleranz eine sehr komplexe Eigenschaft ist: Pflanzen können sich auf vielfältige Weise an diese Stresssituation anpassen: durch unterschiedliche Wachsschichten, Wurzelsysteme, adaptierte Tag-Nacht-Rhythmen, Spaltöffnungen können früher geschlossen werden usw. Veränderungen in einzelnen Merkmalen sind zwar möglich, aber wie wirken sich diese im Zusammenspiel mit anderen und auf die gesamte Pflanze aus? Es bestehen zudem Zielkonflikte zwischen den Merkmalen, die prinzipiell nicht vollständig aufgelöst werden können. Eigenschaften wie ein ausgeprägteres Wurzelsystem sind z. B. mit „Kosten“ für den Stoffwechsel der Pflanze verbunden, ein frühes Schließen der Spaltöffnungen bedeutet, dass die Pflanze weniger Kohlendioxid aufnehmen kann.

Vergessen wird darüber hinaus oft, dass auch der Umweltfaktor Trockenheit selbst hochgradig vielschichtig ist: Wassermangel kann während verschiedener Phasen der Vegetationsperiode auftreten, mit unterschiedlicher Dauer, in Kombination mit Hitze, auf verschiedenen Böden usw. Dazu kommt, dass mit der Klimakrise Extremereignisse wie Starkregen oder sehr hohe Temperaturen zunehmen. Die durch die extremen Witterungsschwankungen verursachten Probleme lassen sich unabhängig vom Züchtungsverfahren nicht einfach damit lösen, Pflanzen etwa mit einer Trockenheits- oder spezifischen Krankheitsresistenz auszustatten. Es ist unmöglich eine einzelne Sorte genetisch so zu verändern, dass sie bei allen zukünftigen klimatischen Extremen maximale Erträge erzielt. Zudem weiß die Landwirt*in zu Beginn eines Jahres, wenn sie sich für eine Sorte entscheiden muss, nicht, wie die Anbausaison ausfallen wird: Trocken? Nass? Sehr heiß oder eher kühl? Daher gilt in Zeiten der Klimakrise umso mehr: die perfekte Pflanze oder Pflanzeneigenschaft für alle Bedingungen und Standorte kann es nicht geben.

Resiliente Anbausysteme sind notwendig

Deshalb sind systemische Ansätze, die zu einer Erhöhung der Resilienz im gesamten Anbau- und Ernährungssystem führen deutlicher vielversprechender als rein technische Lösungen. Eine Diversifizierung im Anbau kann auf unterschiedlichen Ebenen erfolgen: mit einer breiteren Abstützung von Bewässerungssystemen, bei der Düngung oder der Diversifizierung von Einkommensmöglichkeiten durch unterschiedliche Betriebszweige. Angebaut werden können mehr Kulturarten in einem Betrieb durch eine Erweiterung der Fruchtfolge oder auf einer Fläche über den Mischkultur-, Zwischenfruchtanbau oder Agroforstsysteme. Mulchanbausysteme sind ebenfalls eine interessante Option. Sortenmischungen und heterogene Populationen, die seit Anfang 2022 erstmals als „Ökologisch Heterogenes Material“(oder kurz „ÖHM“) legal vermarktet werden dürfen, weisen ein höheres Puffervermögen gegen Klima- und witterungsbedingten Stress auf. Saatgut von ÖHM muss ökologisch vermehrt, kann aber von allen Betrieben verwendet werden. 

Die Mischung machts

In Sortenmischungen oder heterogenen Populationen werden verschiedene Pflanzentypen einer Art (z. B. Weizen) zusammen in einem Pflanzenbestand angebaut. Verschiedene Untersuchungen haben gezeigt, dass die Erträge und Qualitätseigenschaften von Sortenmischungen oder Populationen häufig stabiler ausfallen als von ihren Komponenten. Das Prinzip nutzt die unterschiedlichen Eigenschaften der jeweiligen Pflanzentypen: Typen mit langen Wurzeln nehmen bei Trockenheit Wasser aus tieferen Schichten auf, solche mit flachen Wurzeln nehmen hingegen in feuchten Jahren das Oberflächenwasser besser auf. Werden die Komponenten zusammen angebaut, hat die Mischung oder heterogene Population insgesamt beide Eigenschaften und ist somit stabiler in Ertrag und Qualität. Die Unterschiede zwischen den Partnern können insgesamt die Resilienz, also etwa die Fähigkeit Wetterextreme aushalten zu können, erhöhen.

Forschungsgelder für resiliente Systeme

Auch wenn weitere Optimierungen in den bestehenden intensiven konventionell-industriellen Strukturen schwierig umzusetzen sind, sind in diesen alternativen Anbausystemen noch erhebliche Verbesserungen möglich. Die Pflanzenzüchtung kann hierbei einen wichtigen Beitrag leisten. Die Züchtung für Agroforstsysteme, den Mischkultur- und Zwischenfruchtanbau weist enormes ungenutztes Potential auf. Gleiches gilt für die Züchtung von resilienten Pflanzen an extremen Standorten (z. B. Trockenheit) oder von Pflanzen mit speziellen, bisher wenig beachteten Resistenzeigenschaften (z. B. für den Ökologischen Landbau). Diese Eigenschaften wurden bisher aus rein ökonomischen Gründen wenig beachtet. Öffentliche Investition in die Züchtungsforschung für nachhaltige Anbausysteme, vorbereitende Züchtungsschritte (Pre-Breeding) und die Bereitstellung pflanzengenetischer Ressourcen sind als Grundlage für diese Arbeit unverzichtbar.

Die enormen Herausforderungen durch die Klima-, Biodiversitäts- und Bodenkrise zwingen uns dazu, die grundlegende sozial-ökologische Transformation von Landwirtschaft und Gesellschaft in Angriff zu nehmen. Je schneller, desto besser. Einfach wird dieser Umbau nicht, tatsächlich ist der Rollback ökologischer politischer Vorhaben getrieben durch gesellschaftliche Akteure, die von den bestehenden Strukturen profitieren, in vollem Gange. Dazu kommen Projekte wie die Deregulierung der neuen Gentechnik. Diese ist aus dem bestehenden agrarindustriellen System hervorgegangen und folgt gänzlich der Logik des Status Quo. Eines der größten Risiken der neuen Gentechnik besteht wohl darin, dass sich mit ihrer Anwendung bestehende Strukturen weiter festigen werden. Stattdessen müssen grundlegend alternative Ansätze gestärkt und breit unterstützt werden. Ein weiter wie bisher ist keine Option.

Autor:innen: Dr. Eva Gelinsky (Politische Koordinatorin der IG Saatgut) & Dr. Carl Vollenweider (Ökologischer Getreidezüchter und Co-Leiter der Forschung & Züchtung Dottenfelderhof)

21.11.2024
Von: Artikel Bauernstimme 12/2024; Dr. Eva Gelinsky und Carl Vollenweider
Dateien:
Resiliente_Systeme_statt_Technofixes_BS_12_2024.pdf