Anfang Juni wird die EU-Kommission voraussichtlich ihren Vorschlag für eine Deregulierung der neuen Gentechnik vorlegen. Dabei lässt sie bereits im Vorfeld wenig Zweifel daran, dass sie deren Einsatz in der Landwirtschaft befürwortet. Als Grund für eine Erneuerung des geltenden europäischen Rechtsrahmens wird nach wie vor das Lösungspotential von CRISPR & Co. gegen Klimakrise, Dürren und den Verlust der Biodiversität angeführt. „Als Teil einer breiteren Veränderung hat die Biotechnologie das Potenzial, Landwirten dabei zu helfen, unsere Nahrung nachhaltiger zu machen“, sagte die für Lebensmittelsicherheit zuständige Brüsseler Kommissarin Stella Kyriakides gerade wieder gegenüber dem Berliner Tagesspiegel.
Realitätscheck: Was ist im Anbau?
Definitiv im Anbau scheinen aktuell nur zwei mittels neuer Gentechnik veränderte Pflanzen zu sein. Beide versprechen einen zweifelhaften Mehrwert für Bäuer*innen und Verbraucher*innen: Da ist zum einen die GABA-Tomate in Japan (Santech Seed), deren Verzehr entspannungsfördernd und blutdrucksenkend sein soll. Zum anderen der GreenVenusTM-Salat des gleichnamigen US-Unternehmens. Der Salat soll eine verlängerte Haltbarkeit haben und eine verringerte enzymatische Bräunungsreaktion an verletzten Blättern zeigen. Diese Eigenschaft soll dabei helfen, die Lebensmittelverschwendung zu reduzieren.
Vor ihrer Zulassung wurden weder die Tomate [1], noch der Salat im Hinblick auf ihre behaupteten positiven Effekte bzw. gesundheitlichen Risiken eingehend untersucht.
Unklar ist, ob sich der herbizidresistente CIBUS-Raps noch im Anbau befindet. Zuletzt hatte das Unternehmen selbst behauptet, der Raps wäre mittels Zufallsmutagenese und nicht mit Hilfe neuer Gentechnik entwickelt worden. Ebenfalls offen ist der Anbaustatus der von CALYXT entwickelten Soja mit einem veränderten Fettsäureprofil. Das Unternehmen hatte in den letzten Monaten wirtschaftlich grosse Verluste erlitten. Dies ist wohl einer der Gründe, warum CIBUS und CALYXT Anfang Januar 2023 ihre Fusion angekündigt haben. Zwei der ersten Produkte, die unter dem gemeinsamen Namen CIBUS auf den Markt gebracht werden sollen, sind ein Raps mit stabileren Schoten („verbesserte Schotenplatzfestigkeit“) und ein herbizidresistenter Reis.
Hohe Erwartungen in die Pipeline
Ein Blick in die Unternehmenspipeline und auf den Markt für neue gentechnisch veränderte Pflanzen bestätigt die grossen Erwartungen noch immer nicht. Im Gegenteil.
Mindestens 2 Pflanzen werden für 2023 erwartet: Noch in diesem Jahr soll in den USA ein Senf mit „verbessertem Geschmack“ (reduzierten Bitterstoffen) unter dem Markennamen ConsciousTM Greens (entwickelt vom Unternehmen Pairwise) vermarktet werden. Auch dies ein Lifestyle-Produkt für „gesundheitsbewusste“ Konsument*innen im globalen Norden.
Neben diesen Pflanzen, die direkt für den menschlichen Verzehr bestimmt sind, arbeiten verschiedene Unternehmen an Nischenkulturen mit „Bioökonomie-Eigenschaften“. Yield10 Bioscience in den USA konzentriert sich hierbei auf Leindotter. Mit einem erhöhten Ölgehalt soll er als Agrarkraftstoff oder als proteinreiches Futtermittel (v. a. in Aquakulturen) Verwendung finden. Auch an der Nutzung der Pflanze als Grundstoff für Bioplastik wird gearbeitet. Für verschiedene Leindottersorten hat das Unternehmen mit der Saatgutproduktion begonnen. Ein erster vor-kommerzieller Anbau u. a. im Norden der USA und in Kanada findet bereits statt. Nach den USA hat Yield10 Bioscience auch in Argentinien einen Bescheid der zuständigen Behörden erhalten, dass sie „nicht regulierungspflichtig“ seien. Die Pflanzen werden also voraussichtlich ohne Risikobewertung und Kennzeichnung auf US- und argentinische Äcker gelangen. Eine Verbreitung der mittels CRISPR erzeugten Eigenschaften ist vorprogrammiert, da Leindotter als Kreuzblütler u. a. in Raps einkreuzen kann.
Acker-Hellerkraut ist hierzulande auch als Ackertäschel oder Acker-Pfennigkraut bekannt. Auch das in Mitteleuropa verbreitet vorkommende Unkraut gehört zur Familie der Kreuzblütler. Aufgrund der hohen Samenproduktion und der langen Keimzeit – die Samen können bis zu 30 Jahre im Boden überdauern – kommt die Pflanze praktisch in allen Kulturen als Beikraut vor; vor allem in Wintergetreide und Winterraps ist sie häufig ein Problem. In den USA hat das Start-up-Unternehmen CoverCress Inc. mit Hilfe von CRISPR/Cas den Ölgehalt der Pflanze erhöht. Mais- und Sojafarmer sollen die Pflanze künftig als Zwischenfrucht anbauen und zur Produktion von Biokraftstoff oder als eiweißreiches Viehfutter nutzen können. Das jedenfalls ist das Ziel der drei Konzerne Bayer, Bunge und Chevron. Sie haben 65 Prozent Mehrheitsbeteiligung an dem Winterölsaaterzeuger. Für diesen Herbst plant CoverCress Inc. einen vor-kommerziellen Anbau in verschiedenen US-Bundesstaaten.
Intransparenz bei Großkonzernen
An welchen Kulturen und Eigenschaften die Saatgutmultis selbst arbeiten, ist weitgehend unklar. Bayer z. B. gibt nur bekannt, dass sie die neue Gentechnik zu „Verbesserungen der Pflanzenarchitektur (oder des Pflanzenkörpers selbst), Resistenz gegen Krankheiten, Stresstoleranz sowie Pflanzenwachstum und -entwicklung“ in ihrem „gesamten Portfolio für Reihenkulturen“ einsetzen. Am weitesten fortgeschritten scheint ein „Zwergmais-“Projekt zu sein, in dem drei verschiedene Ansätze parallel zum Einsatz kommen: „Wir gehen an den Short Stature Corn [„kurzhalmiger Mais“] mit verschiedenen technologischen Ansätzen heran, einschließlich Züchtung (derzeit in Phase drei), Genom-Editierung (Entdeckungsphase) und Biotechnologie (ebenfalls in Phase drei, in Kooperation mit BASF).“ [2] Die Markteinführung der mittels CRISPR/Cas veränderten Zwergmais-Varietäten ist derzeit nicht vor 2027 geplant. Da die Eigenschaft auch konventionell erzeugt werden kann, ist die Behauptung, die neue Gentechnik sei unverzichtbar, (auch) hier mehr als fragwürdig.
Corteva, nach Bayer die Nummer zwei auf dem globalen Saatgutmarkt, berichtet öffentlichkeitswirksam praktisch nur über seine Projekte im Globalen Süden. So soll für einen Mais mit einer Resistenz gegen die Maize Lethal Necrosis Disease, der in Kooperation mit dem CIMMYT (International Maize and Wheat Improvement Center, Mexiko) entwickelt wurde, bereits ab Mitte 2023 erstes Saatgut in Afrika verfügbar sein. [3]
Die versprochenen „Wunderpflanzen“ sind also (noch?) nicht erhältlich. Weiterhin werden auch mit neuer Gentechnik herbizidresistente Pflanzen entwickelt (z. B. durch Bioheuris in Argentinien) und viele Unternehmen arbeiten an fragwürdigen Consumer-Traits – z. B. Bananen mit verlängerter Haltbarkeit (Tropic Bioscience) oder Brombeeren ohne Kerne (Pairwise). Trotzdem versuchen die Unternehmen mit ihrer PR gezielt die mit CRISPR & Co. verbundenen hohen Erwartungen zu bedienen. [4]
Dabei zeigen gerade die Erfahrungen der letzten Jahre, dass sich die Probleme, mit denen die Landwirtschaft in wachsendem Maße konfrontiert ist, nur mit einem grundlegenden systemischen Umbau bewältigen lassen. Um alternative Entwicklungspfade in diese Richtung weiterhin offen zu halten, bleibt die Regulierung der neuen Gentechnik als Gentechnik unabdingbar. Auch weil CRISPR & Co. nicht unabhängig von den ökonomischen und rechtlichen Strukturen zu haben sind, unter denen ihre Entwicklung und Anwendung stattfinden.
Das Problem der Patentierung macht dies deutlich: Der mit der ersten Generation der Gentechnik auch im Bereich der Pflanzenzüchtung etablierte Patentschutz führt dazu, dass immer mehr pflanzengenetische Ressourcen von Formen des Gemeineigentums in solche des Privateigentums überführt werden. Dies hat entscheidend zur Oligopolbildung auf dem Saatgutmarkt beigetragen. Es ist schon jetzt absehbar, dass die neuen gentechnischen Verfahren diese Entwicklung weiter befördern werden. Dazu zeigen aktuelle Patentanmeldungen (z. B. von der KWS), dass einige Unternehmen die neue Gentechnik gezielt nutzen, um auch im konventionellen Bereich breite Ansprüche durchzusetzen (siehe Text von Christoph Then in der letzten? BS). Wird diese Entwicklung nicht gestoppt, können die fortgesetzten rechtlichen Unsicherheiten und Patentstreitigkeiten die weitere Pflanzenzüchtung blockieren. Dies betrifft insbesondere kleinere und mittelständische Züchtungsunternehmen, obwohl gerade deren Innovationspotential zur Weiterentwicklung der Kulturpflanzenvielfalt in Zukunft dringend gefragt wäre.
[1] https://www.testbiotech.org/sites/default/files/Hintergrund%20Tomaten%20aus%20Neuer%20Gentechnik.pdf
[2] https://www.bayer.com/de/landwirtschaft/genom-editierung
[3] https://repository.cimmyt.org/bitstream/handle/10883/21893/64898.pdf?sequence=1&isAllowed=y
[4] Zum Beispiel Bayer: https://www.bayer.com/de/news-stories/kurze-loesungen-um-langfristig-dem-klimawandel-zu-trotzen